Übermannt von der Fabulierlust

GRAZ / OPER / MACHT DES SCHICKSALS

14/10/21 Verdis Macht des Schicksals ist eine Oper mit, sagen wir es vorsichtig, nicht wenig emotionalem Überschuss. In Graz hat man damit die Saison eröffnet. Der junge Italiener Matteo Beltrami am Pult macht genau das Richtige: Er nimmt viel Überdruck raus.

Von Reinhard Kriechbaum

Unter ihm klingt das Orchester kammermusikalisch luzid, die durchwegs moderat gewählten Tempi und die deutlich zurück genommene Lautstärke sind sängerfreundlich und geben vor allem den Holzbläsern (den Soloklarinettisten bitte allein vor den Vorhang!) viel Raum. Keine Knallerei, was freilich auch einen unerwünschten Nebeneffekt hat – man wird mit der Nase drauf gestoßen, dass diese Partitur von der Instrumentation her nicht zu Verdis stärksten Stücken zählt.

Das Schicksal also mischt mächtig mit. Drum wohl verkauft man in Graz La forza del destino mit deutschem Titel, damit's wirklich jeder versteht. Eine solche Allegorie hat Regisseurin Eva-Maria Höckmayr auf dem Eisernen Vorhang entdeckt und zur Video-Animation freigegeben. Und dann steht das Schicksal leibhaftig und für mehr als drei Stunden allgegenwärtig da im knallig roten Abendkleid, ein Mittelding zwischen Diseuse und Menschenpeinigerin. Auf deren Winke hin passiert alles weitere. Destilliert ist diese Figur aus der Rolle der Wahrsagerin und Soldaten-Werberin Preziosilla (Mareike Jankowski hat den Sex Appeal, mit dem diese Figur hier ausgestattet ist, auch in der Stimme).

Grundsätzlich keine schlechte Idee, praktisch vor allem, weil man damit viele dramaturgischen Schwächen des Librettos ungestraft zulassen kann. Wer fragt nach Plausibilität, wenn das Schicksal die Fäden zieht? Leider ist die Regisseurin, anstatt diesen Kern präzis herauszuarbeiten, von der Fabulierlust übermannt worden. Ihren Bühnenbildner Momme Hinrichs hat sie den (leeren) Rahmen eines Altar-Triptychons bauen lassen. Dorthin wird projiziert, was die Kunstgeschichte hergibt. Davor und dahinter werden weitere Bilder nachgestellt. Leonoras irrtümlich ermordeter Vater (der Schuss des Liebhabers hat sich beim Wegwerfen der Schusswaffe ja von alleine gelöst) landet anstelle des Heilgengerippes im gläsernen Reliquienschrein. Wenn Leonora der Welt entsagt und Einsiedlerin wird, durchläuft sie auch ein kurzes Purgatorium in dieser Verheiligungs-Box. Vieles in dieser Inszenierung schrammt an der Grenze zur Parodie, und nicht selten geht’s drüber hinaus. Üppigst die Kostüme – das Depot der Grazer Oper muss im Moment völlig ausgeräumt sein.

Die Szene schießt also mächtig ins Kraut, dazwischen bleibt für die Figurenzeichnung der Protagonisten wenig Platz – da passiert Opernklamotte mit ganz viel Händeringen. Eine wirklich gute Besetzung ist Aurelia Florian als Leonora, vor allem auch der schattigen tiefen Lage wegen. Sie hat viel dramatisches Potential. Aldo Di Toro ist Don Alvaro, ein schon etwas ältlicher Liebhaber, der aber immer noch leuchtkräftige, unangestrengte Höhen ins Treffen führt. Sonst durchwegs gute, aber keine außerordentlichen sängerischen Leistungen. Mit mehr Ruhe auf der Bühne und angesichts der guten Orchesterführung wäre wohl mehr drin. Neven Crnić lässt kurz aufhorchen als Fra Melitone. In dem üppigen Bettler-, Säufer- und Kriegslotterei-Bild liefert er eine Bravourszene an scheinheiliger Komik.

Was mag sich die Regisseurin dabei gedacht haben, dass sie den Kapuziner-Guardian (ein Bettelorden!) in einen prunkvollen Bischofs-Ornat gesteckt hat? Was will sie uns mit der herbeischwebenden Heiliggeist-Taube über dem Tisch in der Schenke erzählen? Und was suchen die Rotkreuz-Schwestern in einem üppigen Kriegsbild, das zwischen Goya und Delacroix laviert? Die Postmoderne treibt manchmal gar seltsame Blüten.

Zuletzt legt sich die Betriebsamkeit, es bleibt nur Dekorations-Ramsch übrig. Dort also findet Don Alvaro endlich seine Leonora – und büßt sie zugleich ein. Selten hat mich ein Verdi-Opernfinale so kalt gelassen, einfach weil da die Regie völlig auslässt und sich die Figuren irgendwie verlieren. Die tödlich verwundete Leonora und der Pater Guardian sitzen nebeneinander wie die Vorzugsschüler auf jenem Bett, das als auffälligstes Ausstattungsstück drei Stunden lang unbenutzt dagestanden ist. Wozu eigentlich?

Aufführungen bis 5. Dezember – www.oper-graz.com

Bilder: Grazer Oper / Werner Kmetitsch