Haupsache kirchenbewegt?

LINZ / ZEHN AVE MARIA

08/03/22 Hans-Werner Kroesinger und Regine Dura sind als namhafte Vertreter des dokumentarischen Theaters vielerorts gern gesehene Gäste. In Linz haben sie sich schon mit dem Mythos Voest, also der Stahlindustrie am Ort auseinandergesetzt. Ein andermal mit der Geldanlege-Politik in der Stadt (Swap). Diesmal haben sie ihre Ohren in Sachen Katholizismus hingehalten.

Von Reinhard Kriechbaum

Einer, der einst in Linz nicht nur die Ohren hingehalten hat, war ein gewisser Pater Gabriel. Bei ihm zur Beichte zu gehen, war nicht ganz unproblematisch für blutjunge, gut entwickelte Mädchen. Deshalb fand sich besagter Ordensmann 1871 mit Namen in der lokalen Zeitung, der Tages-Post, wieder.

Was genau wollten Hans-Werner Kroesinger und Regine Dura, diese unermüdlichen Lebens-Sammler für die Theaterbühne, in Linz in Sachen Kirche und Religion herauskriegen und weitererzählen? Nach dem anderthalbstündigen Theaterabend Zehn Ave Maria im Landestheater Linz weiß man das nicht so genau. Am Ende hat man ein wenig dazugelernt in Sachen lokaler Kirchengeschichte. Es wurden pflichtschuldigst Pädophilie, der Umgang mit Gleich- und Diversgeschlechtlichen und die Stellung der Frau als Problemfelder ausgebreitet. Aber in den Ankündigungen zu Zehn Ave Maria ist eigentlich etwas ganz anderes als Ziel formuliert. Es werden andere Erwartungen geschürt, nämlich ein erhellender Input in die ja durchaus des Staunens werte Tatsache, dass trotz mancher Fehlentwicklungen die Religionen als gleichsam menschliches Grundbedürfnis an Anziehungskraft nicht eingebüßt haben.

Hans-Werner Kroesinger und Regine Dura fangen an bei Adam und Eva. Sogar noch ein paar Tage früher. Sonne, Mond und Erde natürlich werden über die Bühne gerollt, entsprechende Projektionen illustrieren die Genesis. Bald schlüpfen die fünf Darsteller in die Rolle von Schulkindern und sagen Katechismus-Phrasen auf. Gleich drauf wird aus der alten Linzer Tages-Post vorgelesen. Vor 150 Jahren wurde die Causa mit dem entschieden zu sehr sich einbringenden Beichtvater dort erstaunlich offen kritisiert.

Es wird erzählt vom Bischof Rudigier. Der hielt nicht mit (schlechter) Meinung zurück, als man 1869 den Kirchen die Oberhoheit über die Schulen nahm und sie zur Staats-Sache erklärte. Aus einer zwangsweisen Vorführung vor ein weltliches Gericht machte der Kirchenmann einen öffentlichkeitswirksamen Act, der jedem heutigen Populisten gut anstünde.

Ein bisserl umständlich ausgebreitet wirken diese Ausflüge in die oberösterreichische Kirchengeschichte, wogegen heutiges kirchliches Fehlverhalten zwar breit, aber klischeebehaftet durchdekliniert wird. Mit erschöpfenden Antworten ist bei der Thematik nicht zu rechnen an einem anderthalbstündigen Theaterabend – aber konkrete Fragen wenigstens hätte man gerne gehört.

Es fehlte wohl, das darf man annehmen, an tiefgründigerer Recherche. Linz und Oberösterreich hätten, gerade was katholische Kirchen-Interna angeht, einiges anzubieten.

In den 1980er und 1990er Jahren, als in Österreich ultra-konservative Bischöfe das Sagen hatten, gab es in der Diözese Linz besonders starke Flankenkämpfe. Von hier aus wurden ultrakonservative wie freigeistige Postillen („Der Dreizehnte“, „Kirche intern“) verbreitet. Ein extremkonservativer oberösterreichischer Katholik hat sich über Jahre als „Pornojäger“ wichtig und lächerlich gemacht. Eine Frau ließ sich zur Priesterin, dann gar zur Bischöfin weihen (auf einem Donauschiff, daher quasi „exterritorial“). Das alles ist gerade dreißig, vierzig Jahre her, aber von alldem erfährt man in diesem angeblichen Dokumentartheater gar nichts. Offenbar hat's den Theaterleuten keiner erzählt. Es drängt sich der Verdacht auf, dass es Kroesinger und Dura dann doch an journalistischem Recherchehandwerk fehlt. Dafür hört man ausgiebig von der katholisch-bischöflichen Maßregelung eines Dorflehrers, der im 19. Jahrhundert ein wenig zu offen seine Sympathien für Luther kundtat.

Das Theaterhandwerk verstehen die beiden freilich. Es wird locker, flauschig dahingeplaudert, die Ensembleszenen haben ein gutes Timing und der Pianist Nebojša Krulanović trägt das Seine bei. Von Kirchenlied bis zur ausgefeilten Jazznummer die ganze Bandbreite.

Paradies, Fegefeuer, Hölle: Damit sich alle auskennen, auch die völlig Unbedarften, steht das Motto über den betreffenden Szenen. Am Ende freilich kommen die Banner in Bewegung, es schaut aus, als ob die Karten zwischen Gut und Böse neu gemischt werden. Eine riesige Rosenkranzkette wird nach oben gezogen, zwei Schauspieler hängen noch die Weltkugel und eine weitere Kugel in Regenbogenfarben dran. Schaut nach religiös bewegtem Aktivismus und Selbstzufriedenheit aus und hört sich in der letzten Musiknummer auch ganz so an.

Aufführungen bis 28. April in den Kammerspielen des Linzer Landestheaters – www.landestheater-linz.at
Bilder: Landestheater Linz / Herwig Prammer