Weltverbesserer mit Selbstironie

SCHAUSPIELHAUS GRAZ / DER WEG ZURÜCK

28/09/22 Der britische Autor Dennis Kelly führt uns in Der Weg zurück Wissenschafts- und Technikfeinde vor, die eine neue Herrschaft errichten. András Dömötör ist der Regisseur der österreichischen Erstaufführung im Grazer Schauspielhaus.

Von Reinhard Kriechbaum

Der Router im Wohnzimmer: sicherheitshalber ausgeschaltet. Das Handy und anderer Elektronik-Kleinkram: zu Tode gekocht in Karotten-Koreander-Suppe. Keine Strahlung soll fürderhin das Neugeborene treffen. Eine Bekannte hat dem jungen Vater diesen Floh ins Ohr gesetzt. Ein blödes Mail, das er gleich gelöscht hat. Aber wir haben einen Mann vor uns, der in seinen Grundfesten erschüttert und entsprechend beeinflussbar ist. Wir erfahren, dass er im Kreißsaal zum Witwer geworden ist. Ein Kunstfehler bei der künstlichen Befruchtung, die Frau ist den Ärzten unter der Hand gestorben.

„Du bist in Sicherheit“, murmelt er jetzt, nachdem er gerade doch nicht Suizid verübt hat, mit Baby im Arm. Und ans Publikum gewandt: „Das war der Moment.“ Der Moment, in dem der junge Mann zum entschiedenen Wissenschafts- und Fortschritts-Feind, wurde, zum ökologischen Anarchisten, zum Führer eine radikalen Retro-Bewegung mit Namen „Die Regression“. Seine Tochter und die Kindeskinder über weitere vier Generationen werden in seine Fußstapfen treten. Die junge Frau und ihr Freund werden Gen-Labore in die Luft jagen und Fernsehstudios in Brand setzten „aus Frust über eine Welt, die zu komplex ist, um sie lieben zu können“. Die Enkel werden die Bewohner einer ominösen Stadt indoktrinieren und ihnen Verhaltensmaßregeln für ein einfaches, von Neugier, Forschungsdrang und Fortschrittsdenken freies Leben auferlegen.

Eine radikale Öko-Diktatur. Die Kommunikation wird als erstes beschnitten, einsilbig reden und denken ist demnächst angesagt. Klappt natürlich nicht. Die Ur-Ur-Enkelin wird zwar alle Gebote der Bewegung einhalten, aber in einer flammenden Rede aus einsilbigen Wörtern (Kompliment an den Übersetzer John Birke!) wird sie sich fasziniert zeigen vom Blick aufs kleine Tier auf der Haut des größeren, betrachtet durch ein Vergrößerungsglas – ein unsägliches Wort mit fünf Silben! Das Leben geht eben nicht weiter, ohne dass forschend etwas weiter geht...

Dennis Kellys Stück, geschrieben noch vor der Corona-Krise mit ihren gesellschaftlichen Verwerfungen, ist nach der Uraufführung im Berliner Ensemble im November des Vorjahres nicht zu Unrecht vorgeworfen worden, dass diese Karikatur einer Öko-Revolution nicht gar so nach Hintergründen schürft, nach gesellschaftlichen Vorbedingungen. Es geht sehr direkt und plakativ den Bach runter mit dem Geistesleben. Man könnte das auch positiver formulieren: Der Autor packt sein Publikum genau an jener Denk-Faulheit, die durch vorschnelles Mitplappern in den sozialen Medien zumindest befördert wird. „Der Weg zurück“ ist einer, den entlang sich die Protagonisten in einem fort selbst Beine stellen. Sie stolpern ihren so hehren wie problematischen Zielen mehr entgegen, als dass sie sie zielgerichtet anstrebten.

In diese Richtung hat der ungarische Regisseur András Dömötör in Graz lustvoll nachgeschärft. Unter anderem, indem er sein Konzept aufs Engste mit Géza Szöllősi, einem bildenden Künstler, abstimmte. Der versteht sich auf Modellbau. Wenn die Handelnden in erster und zweiter Generation paradiesischen Zustände herbeisehnen, dann stellt er ein solches Paradies gleich hin, zwei handspannen klein, drehbar, mit friedlichen Plastillin-Löwen und anderem Getier. Und mit einer nackten Eva, wie sie sich die Kreationisten nicht handsamer vorzustellen vermöchten. Die zwei Damen und zwei Herren auf der Bühne (Kellys Textfläche ist in Graz auf vier Leute verteilt) erforschen mit der Handkamera diese Miniatur-Welt, treten mit ihr in Dialog. Das Bühnenbild, ein vages Modell einer chemischen Verbindung, dient als Projektionsfläche.

Das gibt also reizvolle bildnerische Kommentare, Bestätigungen und Widersprüche. Wenn sich unter den Enkeln des Bewegungs-Gründers Eifersüchtelei und Selbstsucht Bahn brechen, dann tauchen Schweine auf in der Öko-Miniaturwelt. Orwell lässt grüßen.

Das alles ist deftige Karikatur, will es auch sein. Trotzdem feine schauspielerische Leistungen. Man möchte mitweinen mit Clemens Maria Riegler, diesem leidenschaftlichen Vater und Ehemann, dessen Leben in einem Moment wie ausgelöscht ist. Ein Anfangsmonolog, der ein wenig an Thomas Bernhards Figurenwelt denken lässt. Nicht weniger emotional die finale Suada, mit der Aleksandra Ćorović den Spagat versucht zwischen verordneter Einfalt und Forschungsdrang. Ach ja. Weder der Forschergeist ist tot zu kriegen, noch die Wut von Bürgern, denen die freie Entscheidung genommen ist.

András Dömötör hakt gerne bei der Romantik und ihrer Natursehnsucht ein. Seine Botschaft ist die, dass wohl keine Ideologie in Reinform als Gemeinrezept für eine rundum perfekte Welt taugt. Entsprechend ironisch gezeichnet kommen uns die Figuren hier entgegen. Selbstironie ist in Dennis Kellys Text ja durchaus auf der Haben-Seite zu verbuchen – eine Eigenschaft, die Weltverbesserern jeder Richtung abgeht.

Weitere Aufführungen bis 22. November im Haus zwei – schauspielhaus-graz.buehnen-graz.com
Bilder: Bühnen Graz / Lex Karelly (3); Daniel Kindler (1)