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Eine Rosskur für die verdüsterte Seele

LINZ / DIE TOTE STADT

04/10/22 Der Arien-Hit schlechthin ist Glück, das mir verblieb. Aber in Wirklichkeit ist Die tote Stadt, der Opern-Geniestreich des erst 23jährigen Erich Wolfgang Korngold, ja als Ganzes ein Hit. Das böse Wort darf man durchaus gebrauchen. Ein Hit hat bekanntlich ein Ablaufdatum, er gräbt sich aber in die Erinnerung ein.

Von Reinhard Kriechbaum

Im Linzer Musiktheater macht man derzeit wieder mal die Probe aufs Exempel. Man bekommt Gelegenheit, darüber nachzudenken, warum in den vergangenen Jahrzehnten zwar viele musiktheatralische Werke von Franz Schreker oder Alexander Zemlinsky mit Gewinn wiedererweckt worden sind, das Erfolgsstück der 1920er Jahre, eben Korngolds Die tote Stadt, weitgehend ausgeblendet worden ist. Die Musikgeschichte hat binnen Hundert-Jahre-Frist ein eindeutiges Urteil gesprochen.

Das heißt freilich nicht, das man sich nicht einlassen sollte auf dieses wollüstige Opern-Erlebnis. Die Kraft des Symbolismus, die einst des Belgiers Georges Rodenbach Roman Bruges-la-morte auf Bestseller-Rang katapultiert hat und den jungen Komponisten emotional angesprungen ist, tut nach wie vor ihre Wirkung. Die Freud'schen Seelenerkundungen lagen ebenso in der Luft wie die wehmütig-nostalgischen Erinnerungen an die lustvolle Décadence, um die es nach Ende der Monarchie geschehen war. Korngold bediente meisterlich die eigene psychische Befindlichkeit und jene seiner Zeitgenossen.

Es war eine marode Stimmung, und die herrscht auch in Pauls Wohn/Schlafzimmer, das er nach dem Tod seiner geliebten Frau Marie in eine „Kirche des Gewesenen“ verwandelt hat. Hier hat er sich, vor Selbstmitleid triefend, im Grunde wohlig eingerichtet – bis er Marietta kennen lernt, die lebenslustige Tänzerin in einer Gauklergruppe. In ihr glaubt er Marie wiederzuerkennen, steigert sich hinein in Phantasien und Erwartungen. Das leichtlebige Frauenzimmer Marietta wird diesen irrealen Erwartungen nicht annähernd entsprechen, aber von der echten Liebe Pauls doch eingenommen. Sie will den Kampf gegen die zur Heiligen stilisierten Toten aufnehmen – ein Feldzug, den sie nur verlieren kann.

Das, was man heute „Trauerarbeit“ nennt, kommt in der Toten Stadt sinnlich und betörend daher. Melodisch natürlich stark am übermächtigen späten Puccini orientiert, im Orchester aber bemerkenswert auffällig am expressiven Richard Strauss: Wenn Marietta zu tanzen beginnt, ist's gar nicht weit zu Salomes Tanz... Solche Orchesterfarben arbeitet Markus Poschner mit dem Bruckner Orchester vernehmbar heraus, ohne den großen melodischen Bogen (also: die Eigenart Erich Wolfgang Korngolds schlechthin) aus dem Blick zu verlieren. Immer wieder mal würde man sich dann aber doch, nicht zuletzt aus Sänger-Freundlichkeit, die Opulenz ein wenig zurückgeschraubt, die Instrumentationsdetails noch luzider hörbar gemacht wünschen.

Ein Profiteur wäre Andreas Hermann, der als Paul in vielen lyrischen Passagen die anspruchsvolle Tessitura dieser Rolle mit viel Charisma meistert und dann mit seidenglänzenden Höhen überzeugt. Aber öfters Mal gilt es für ihn, einfach zu überleben in den Orchesterwogen. Fast wundert man sich, dass der Tenor das unbeschadet übersteht.

Marietta – das ist Erica Eloff, der eine deutlich breitere Ausdrucksskala gegeben ist (wie sie diese Rolle ja auch verlangt). Sie gibt dieser Figur starke Kontur: eine Bühnen-Frau mit Lebenserfahrung, mit Entschlossenheit, zugleich feinfühlig. Die Verwunderung über die Situation, in die sie da hinein geraten ist, nimmt man ihr sofort ab, aber auch später einen gewissen Trotz, wenn sie wider besseres Wissen um Pauls Liebe (oder ist es nur Anerkennung der eigenen Persönlichkeit?) ringt.

Die Regie von Andreas Baesler in der Ausstattung von Harald B. Thor (Bühne) und Tanja Hofmann (Kostüme): Da spielt alles in Pauls Wohnzimmer. Wir wollen gar nicht wissen, was an Devotionalien der Verstorbenen in den Stapel-Kartons steckt. Mit dem güldenen Haarzopf, den Marietta zuletzt „entweiht“, indem sie mit ihm tanzt, wird Paul sie erwürgen. Manche Szene, die eigentlich im realen Brügge am Kanalufer spielt, wendet der Regisseur ins Irreale. Es wird viel mit Projektionen gearbeitet (nicht nur bei Maries Erscheinung), und das macht gehörig Effekt. Die Prozession lässt der Regisseur gleich leibhaftig durch PaulsWohnung ziehen, während Marietta Paul an die Wäsche geht.

Am Schluss, wenn Paul scheinbar geläutert ist, finden wir uns in einem Ambiente zwischen Gefängnis und Psycho-Klinik. Da taucht Marietta nochmal auf, und Pauls Freund Frank (Martin Achrainer), der sich in Psychoanalytiker-Manier schon zuvor immer wieder Notizen gemacht hat, steckt ihr einen Briefumschlag zu. Wir sind wohl Zeugen einer ganz besonderen Theatervorstellung Mariettas geworden – einer inszenierten Rosskur für eine verdüsterte Seele.

Aufführungen bis 2. Jänner 2023 – www.landestheater-linz.at
Bilder: Landestheater Linz / Reinhard Winkler

 

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