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Viel Popcorn gegen Beziehungs-Frust

GRAZ / SCHAUSPIELHAUS / SEX PLAY

17/11/22 Vielleicht sollte man, so geht einem durch den Kopf, viel mehr Zeit in den Sanitärräumen von Vergnügungsetablissements verbringen. Offenbar sind die Menschen dort besonders gesprächig und radikal offenherzig. – Sex Play von Patty Kim Hamilton, uraufgeführt im Schauspielhaus Graz.

Von Reinhard Kriechbaum

Es geht rund zwischen den drei Toilettenkabinen und den drei Waschbecken. Zwei Männer und drei Frauen suchen dort Erleichterung, aber nicht des Magen-Darm-Trakts. Verbale Psychohygiene vor und nach dem Sex und womöglich währenddessen ist angesagt. „Wie soll ich erklären, dass meine Organe in einem Küchenmixer sind“, beschreibt eine Frau die Hardcore-Variante von Schmetterlingen im Bauch.

Die Autorin Patty Kim Hamilton ist in New York geboren und als Dramaturgin in Deutschland tätig. Im Vorjahr hat sie es schon zum Heidelberger Stückemarkt gebracht (mit Peeling Oranges). In einer turbulenten szenischen Umsetzung (Daniel Foerster hat die Regie vom erkrankten Sebastian Klinser übernommen) wurde nun Sex Play in Graz aus der Taufe gehoben – ein Stück, das das Reden über Sex (im weitesten Sinn) zum Thema macht. Genauer: die Schwierigkeit, über Dinge zu reden, die das Persönlichste berühren, hinter Tabuisierung oder Schein-Gequassel versteckt und eben überspielt werden (Sex Play eben). Und da hinein spielen noch gesellschaftliche Konventionen, Machtgedanken, #meetoo sowieso auch...

Fünf Leute also wirbeln über die Bühne, nehmen unterschiedlichste Standpunkte und Sichtweisen ein. Blitzschnell verwandeln sich die Charaktere und ihre Erzählungen. Da ein freches Lied, dort tiefste Verzweiflung, hier kecke Selbstdarstellung, dort der unbeholfene Versuch, im Zwiegespräch Orientierung zu finden. All das sind Aussagen und Formulierungen, die jeden Tag in sozialen Medien gepostet oder in Lebensberatungs-Foren geklagt werden. Worauf's letztlich immer hinausläuft: Jeder Dialog bleibt irgendwie unvollendet, weil es am eigenen Mut oder an Empathie des Gegenübers mangelt. „Beziehungen sind Arbeit, deshalb will ich keine“ – das mag ein Leitmotiv für viele Menschen sein.

Über Sex sprechen – das inkludiert oft, mit heftigen Wort-Geschützen die mangelhaft befestigten Wände um die eigene Seele zu verteidigen. Die Folge: Es wird gerne wortbrechdurchfallartig aneinander vorbeigeredet. Sex Play ist kein Stück, das irgendwelche Fragen beantwortet, aber es steckt das Spannungsfeld anschaulich ab: keine ordentliche Rechteckfläche, ein Polygon.

Heftig geht’s zu, und doch gibt es immer wieder ruhige Szenen, in denen die Charaktere ganz bei sich sind und bemitleidenswert verletzlich gar wirken. Enorme Fallhöhen zwischen entblößender Selbstdarstellung und Aufrichtigkeit zeichnen die achtzigminütige Aufführung aus, in der (Bühnen-)Nebel manch klare Gedanken einhüllt, wie das eben im echten Leben auch oft passiert, wenn Sex im Spiel ist. Was genau ist hier überhaupt mit Sex gemeint? Große Bedürfnisse und Gefühle „mit dem Körper zu verhandeln – und dran scheitern.“ Oft hilft dann nur das Frust-Essen, der Griff zum Popcorn, das ausgerechnet in einem Urinoir in ausreichender Menge bereit steht. Das ist stimmig, weil dieser Sanitär-Raum dient nur der intensiven Wort-Entleerung.

Aufführungen bis 29. Dezember im Schauspielhaus Graz, Haus zwei – schauspielhaus-graz
Bilder: Schauspielhaus Graz / Johanna Lamprecht

 

 

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