Die Kunst-Keule schwingen

STEIRISCHER HERBST / AUSSTELLUNGEN

29/09/10 Wie mag Franz Wests "Hommage an die Elite progressiver Kulturschaffender Österreicher" wohl aussehen? Es muss ein lichtscheues Völkchen und das ihnen gewidmete Kunstwerk ein sehr lichtempfindliches sein - denn genau aus diesem Grund, so erklärt uns der Künstler, sei das gute Stück für die Retrospektive im Grazer Kunsthaus nicht ausgepackt worden, sondern in der Kiste verblieben.

Von Reinhard Kriechbaum

Das ist Franz West, wie er leibt und lebt. Aus dem Centre Pompidou ist eine Serie von zarten Papiermaché-Objekten angeliefert worden. Die sind zwar ausgepackt und auf mehreren Tischchen aufgestellt, aber daneben sind die Transportkisten klotzig stehen geblieben, denn "ich mache meine Arbeiten nicht, um den Sauberkeitsdrang von Ordnungshütern zu befriedigen." Also ein gezieltes Spiel mit der Unaufgeräumtheit …

"Autotheater" heißt die Schau beim "steirischen herbst" im Kunsthaus Graz, angeblich die erste Retrospektive für Franz West in Mitteleuropa. Die Bildwerke des 1947 in Wien geborenen Künstlers fordern uns auf, zu interagieren. "Einsitzen erwünscht. Die Sitze sind anwendbar": Solche Zettelchen ermuntern uns etwa, Platz zu nehmen auf den roh zusammengeschweißten metallenen Sitzmöbeln, die zusammen mit den Skulpturen lauschige "Wohnzimmerplätzchen" suggerieren. Ob's dort freilich gemütlich wird?

Rund dreißig Arbeiten (seit 1972) sind für die Schau zusammengetragen, wir sehen also Franz West als einen, der immer wieder mit der Publikumsreaktion kokettiert oder seinen Besuchern ebenso gerne vorführt, dass zu feig sind. "Treten Sie hinter den Paravent, entkleiden Sie sich und legen Sie das Gewand auf den Sessel …" (Anleitung zu "Ohne Titel", 1989). Da wird wohl kein Gedränge der Nackerpatzeln entstehen. Schon eher mag jemand zu Franz Wests "Passstücken" greifen, diesen Kreativ-Mischungen aus Keule und Skulptur. Die darf man nämlich auch angreifen und ist ausdrücklich aufgefordert, damit zu hantieren. Sie zu schwingen, drängt sich auf.

Ob es etwas bringt, die Ohren an die Münder von aqmorphen Papiermaché-Skulpturen zu halten, die anregend-erwartungsvoll dastehen und vielsagend "Geraune" heißen? Mit Franz West würdigt der "steirische herbst" jedenfalls einen Künstler, der eben deshalb international hoch gehandelt wird, weil er uns nicht allein lässt mit seinen Skulpturen und diese uns ausdrücklich ans Herz und in die Hände legt.

Neu ist so etwas freilich nicht, und letztlich zielt auch alle Kunst im öffentlichen Raum dahin, wenigstens Aufmerksamkeit zu heischen. Beim "steirischen herbst" hat das elendslange lange Tradition, und auch heuer steht und hängt einige Kunst im Stadtraum herum. "Utopie und Monument" ist diesmal das Schlagwort und wir mögen gefälligst drüber nachdenken, wie es so funktioniert mit der Stadt als Kunst-Denkraum. Vielleicht war ja das Wetter am ersten Wochenende zu wenig anregend, das Regengrau nicht förderlich, dass man die Dinge wirklich registriert hat. Jedenfalls hat sich am Eröffnungswochenende des Festivals der Verdacht aufgedrängt, dass der öffentliche Raum mit Wahlplakaten, Hinweisen auf die Grazer Herbstmesse und Werbe-Ramsch sonder Zahl übervoll ist. Kunst muss echt um ihre Wahrnehmbarkeit fürchten, wenn sie sich hinaus wagt aus ihren geschützten Räumen.

Ach ja, reich wird der "steirische herbst" auch. Aber nicht so bald. Das Linzer Kunstkollektiv mit dem malerischen Namen "qujOchÖ" widmet sich den Scharlatanen im Finanzmilieu und hat dem Veranstalter ein großherziges Geschenk gemacht. Das Produktionsbudget in Höhe von 16.576,03 Euro kam auf ein Sparbuch, und wenn man ein solches hundert (!) Jahre bindet, kann man sogar heutzutage gut reden mit einer Bank. Ein fixer Zinssatz von 4,185% - da darf das Grazer Avantgardefestival, wenn es in genau hundert Jahren knackige 143 Jahre alt sein wird, eine Million Euro einstreifen. Das ist echte Umwegrentabilität - und 143 schließlich kein Alter für ein Avantgarde-Fossil.

Die Schau Franz West/"Autotheater" ist im Grazer bis 9. Jänner 2011 zu sehen. - www.museum-joanneum.at; www.steirischerherbst.at
Bilder: Universalmuseum Joanneum / Nicolas Lackner (39; steirischer herbst / Wolfgang Silveri