Familienglück statt Pillenknick

GRAZ / FRAU OHNE SCHATTEN

01/10/10 Egal, ob in der obersten gesellschaftlichen Kaste oder in der handfesten Umgebung des Färbers Barak und seiner Frau: Der Kinderwunsch ist drückend und die Unerfülltheit des Kindersegens drückt übermächtig und zapfenduster auf die Seele.

Von Reinhard Kriechbaum

Gesamtaufnahmen von Richard Strauss' "Die Frau ohne Schatten" finden sich nicht so oft im CD-Inventar der Single-Haushalten unserer Tage, und die Oper selbst selten genug auf den Spielplänen - in Graz sage und schreibe 48 Jahre lang nicht. Gibt es eigentlich eine noch un-zeitgeistigere Oper? Dem Pillenknick zum Trotz taucht sie aber derzeit da und dort wieder auf, zum Beispiel bei den Salzburger Festspielen nächstes Jahr und an der Staatsoper …

Mit Deutungsversuchen, gar mit Zeitbezügen hielt sich in Graz Bühnenbildner und Regisseur Marco Arturo Marelli nicht lange auf, er forscht nicht nach, ob uns Hofmannstahls symbolistisch hoffnungslos überfrachtetes Libretto heute noch etwas erzählen könnte oder sollte. Er entfaltet die Geschichte geradlinig und vertraut im übrigen darauf, dass das reichlich unbeholfene Händeringen seiner Darsteller vom Glanz der Dekorationen und jenem der Musik einfach weggespiegelt wird. Und da tut sich wirklich viel, denn die konkaven Wände, hochpoliert oder gefliest, können sich auflösen, sie drehen und verschieben sich, kreisen umeinander, was Licht- und Spiegeleffekte sonder Zahl ergibt. Das Auge ist beschäftigt. Mehr nicht - aber es lenkt auch nichts von der Musik ab.

Und die ist in der ersten Premiere der Spielzeit in Graz auf einem Top-Level. Intendantin Elisabeth Sobotka und ihr Musikdirektor Johannes Fritzsch haben auf eine handverlesene Gästeschar gesetzt, auch die hauseigenen Leute lassen sich zu Höchstleistungen anspornen. In wackerem Polyglott zwar, aber Untertitel sind eh schon üblich, auch für deutschsprachige Opern.

All das wäre nicht möglich, wenn nicht die Basis, die Leistung des Grazer Philharmonischen Orchesters stimmte. Da findet Fritzsch zu einem guten Kompromiss aus scharf-herben Farbmischungen (Strauss war in der "Frau ohne Schatten" der expressionistischen Pallette der "Salome" oder "Elektra" noch durchaus nahe), aber er lässt dann auch die Zügel locker und das Melos breit, voluminös und vor allem sinnlich strömen. Die Grazer Streicher brauchen sich nicht zu verstecken. Der Orchesterraum ist deutlich abgesenkt, was die Sache den Sängern etwas leichter macht, ohne dass Johannes Fritzsch die orchestrale Üppigkeit zu sehr drosseln müsste. Aus dem Orchestergraben heraus entwickelt diese Aufführung mithin einen gar nicht vor-lauten, umso verführerischen Sog.

Einen Sänger wie James Rutherford (der im Vorjahr in Graz Hans Sachs war) findet man natürlich nur selten: Der junge Engländer rettet seinen weichen Stimmansatz in die schwärzesten Tiefen hinunter, vom Timbre her ist er als Barak ein bäriger Familienvater, den man knuddeln und liebkosen möchte. Und so einen bringt die zickige Färberin beinah um ein Kind! Die Amerikanerin Stephanie Friede ist eine Färberin von vehementem Temperament, ein wenig mit Rumpelstilzchen-Eigenschaften auch im Vokalen, aber jedenfalls ein prägnanter Charakter und vor allem auch technisch eine unglaublich belastbare Stimme. Michaela Martens als Amme setzt sehr auf Dämonie und spielt mit nicht uncharmanter vokaler Attacke die etwas blässlicher geratene Kaiserin Marion Ammann an die Wand. Die hat im dritten Akt sehr überzeugende, sogar leidenschaftliche Momente, die Koloraturen am Beginn machten ihr am Prermierenabend leichte Schwierigkeiten. Corey Bix, ein junger amerikanischer Tenor, ist Rollendebütant in der Rolle des Kaisers. Er lässt sich nicht zum Forcieren verleiten, sondern sein Organ unbeirrt leise, aber samten strömen. Alik Akdukayumov ist ein mächtiger Geisterbote, Lucia Kim ein rot gewandeter Falke, der die Protagonisten auch begleiten und mit ihnen mitleiden darf, wenn er nichts zu singen hat. Präzise Klangbilder setzt der Grazer Opernchor (Bernhard Schneider) um, und auch die Singschul' trägt zum hochprofessionellen tönenden Design dieser Produktion bei.

Wenn musikalisch alles so schön sich zusammenfügt, vergisst man leicht auf Pillenknick und sozial notwendige Zuwanderung. Da täte man sich gerne an die improvisierte Festtagstafel setzen, die Barak schnell einrichtet, wenn alle, fürs Kaiserpaar ebenso wie für Kreti und Pleti. Beim Essen lassen sich die Segnungen von Mutterschaft und Familienglück gut besingen.

Aufführungen bis 21. Dezember - www.oper-graz.com
Bilder: Bühnen Graz / Werner Kmetitsch