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Lebedame und Bücherwurm

GRAZ / LA TRAVIATA

23/01/11 Vielleicht sind sie ja wirklich füreinander wie geschaffen, die Kurtisane und der Langeweiler, der für einen Toast auf die elegante Gastgeberin erst lange im Poesiealbum nachblättern muss. - Peter Konwitschny inszenierte in Graz Verdis „La Traviata“.

Von Reinhard Kriechbaum

altHätte er eine Knollennase auch noch, er sähe aus wie von Loriot erfunden. Alfredo stolpert hinein in die Fun-Gesellschaft, mit dicker Hornbrille auf der Nase, mit altmodischer Strickweste und Schnürlsamthose. Ausgerechnet die Weste wird Violetta Wärme schenken, wenn sie dem Tod schon nahe ist. Oberflächliche Falschheit einer Seitenblicke-Gesellschaft rundum. Violetta ist vereinsamt, wird lieblos hingeschupst auf den einen, einzigen Sessel einer total leergeräumten Bühne. Da kommt also Alfredo, der aussieht wie der Verwalter einer Vorstadtbibliothek und auf dem Landgut dann auf einem Bücherstoß sitzt. Da wird vieles klar in der Beziehung zwischen Violetta und Alfred. Er löst für sie perfekt die Sehnsucht nach über-schlichter bürgerlicher Existenz ein. Das andere gesellschaftliche Extrem. Es kann nicht gut gehen.

Kein Bühnenbild, bloß mehrere rote Theatervorhänge in der unprätentiös-psychologisierenden, vom Grazer Premierenpublikum jubelnd und ohne jede negative Gegenstimme aufgenommenen Inszenierung von Peter Konwitschny. Es ist eine Umsetzung bar jeder Effekthascherei. Die Vorhänge werden nach und nach beiseite gezogen, in dem Maß, als die Protagonisten auf sich selbst zurückgeworfen werden. altAm Ende wollen Alfredo und Violetta die Vorhänge wieder zuziehen – vergebliches pantomimisches Bemühen. Ist Ehrlichkeit erst einmal da, kann man nichts mehr herbeilügen.

Eine Pointe hat sich Konwitschny für den Schluss ausgedacht. Annina, Père Germont und der Arzt kommen durch den Zuschauerraum, der Orchestergraben bleibt unüberwindlich, auch wenn alle von Verstehen und Verzeihen singen. Alfredo macht sich wenn's ernst wird, an den Proszeniumslogen vorbei davon, er sinkt seinem Vater mitten im Parterre an die Brust: Einsamer, allein gelassener ist noch keine Violetta ihren letzten Weg gegangen.

Musikalisch nichts extrem Luxuriöses, aber sehr Hochwertiges. Das beginnt beim wohlgeformten Streicherklang und den runden Bläsersoli des Grazer Philharmonischen Orchesters, stilkundig und mit gutem Bühnenkontakt (auch zum flexiblen Chor) geführt von Tecwyn Evans. Marlis Peterson alt(sie war bereits die Susanna bei den Salzburger Festspielen) ist eine zierliche, anfangs beinah puppenhafte Violetta, deren gewandte Koloraturen im Lauf des dichten Abends enorm an Wärme und Ausdruck gewinnen. Im Verlauf des Diskurses mit Père Germont greift Violetta sogar zur Pistole, Germont muss sie vom Suizid abhalten! James Rutherford ist ein in allen Lebenslagen sonor-wohltönender Germont, der aber gestalterisch wenig in die Tiefe geht, das Verschlagene und Scheinheilige dieser Figur nicht umsetzt. Er spricht übrigens in Begleitung seiner Tochter, einem rechten Mauerblümchen, bei Violetta vor.

Und Alfredo: Der italienische Tenor Guiseppe Varano hat eine viril-gerundete, profund eingefärbte Stimme, die noch in exponierter Höhenlage wirkt, als ob dieser Sänger einen grenzenlosen Vorrat an hohen Tönen hätte. Eine kerngesunde Stimme, gestalterisch vielleicht eine Spur zu brav eingesetzt – aber das passt ja ideal zur Inszenierung, die der Nobelhure ein Spießbürgersöhnchen zur Seelenrettung verordnet hat.

Aufführungen bis 27. Mai - www.buehnen-graz.com
Bilder: Grazer Oper / Werner Kmetitsch

 

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