Musikalisch revolutionär, szenisch antiquiert

WIENER STAATSOPER / KATJA KABANOVA

21/06/11 Franz Welser-Möst legt Janá?eks Schroffheit schonungslos frei und macht damit den Weg für eine neue Janá?ek-Rezeption frei: Premiere von „Kátja Kabanová“ zum Saisonfinale in der Wiener Staatsoper.

Von Oliver Schneider

altLange Jahre wurde Leoš Janá?ek im Staatsopern-Spielplan vernachlässigt. Nur eine „Jenufa“ schaffte es ins Repertoire, allerdings in deutscher Sprache. Doch mit Generalmusikdirektor Franz Welser-Möst ändert sich dies zum Glück. Schon in Zürich hatte er mit einer „Jenufa“ bewiesen, wie sehr ihm Janá?eks wortmelodische, in der nationalen Volksmusik verankerte Tonsprache am Herzen liegt. Mit einer Neuinszenierung von seinem siebten Bühnenwerk eröffnete er am Samstag (18.6.) in Wien einen neuen Zyklus, der den aus Mähren stammenden Komponisten hoffentlich endlich neben Mozart, Verdi, Wagner und Puccini als fixe Säule im Wiener Opernbetrieb etabliert. Der Applaus des Premierenpublikums lässt hoffen.

Über 25 Jahre galt Charles Mackerras als der Prophet für Janá?ek, und seine Leistungen sollen an dieser Stelle nicht geschmälert werden. Im Gegenteil, die Aufnahmen mit den Wiener Philharmonikern haben Massstäbe gesetzt. Aber Welser-Möst ist nun einen Schritt weiter gegangen, indem er von Mackerras eingefügte Glättungen rückgängig gemacht hat. Damit wird Janá?eks Modernität im Ausdruck noch evidenter; noch stärker rüttelt die Tonsprache an einer imaginären Schmerzgrenze, die in Symbiose mit dem Schicksal von Kátja Kabanová steht. Der lyrische Grundton, wie man ihn von Mackerras zu kennen vermeint, tritt bei Welser-Möst zugunsten eines immer latenten bedrohlichen Moments in den Hintergrund, das dem gleich zu Beginn erklingenden Wolga-Motiv als Symbol für Katja innewohnt.

altDas Staatsopernorchester liest Welser-Möst die Wünsche gleichsam von den Händen ab. Es wird trennscharf, plastisch-direkt und trotz des Verschlankens mit Emphase in den weit geschwungenen Melodiebögen gespielt. Ein würdiger Fast-Saisonabschluss im Graben, mit dem sich Welser-Möst und sein Staatsopernorchester für viele weitere Janá?ek-Abende empfehlen.

Sängerisch hat die Staatsoper gut ausgewählt. Janice Watson irritierte zwar zunächst mit Schärfen, sang sich aber im Laufe des Premierenabends immer freier. Bühnenpräsenz beweist sie vor allem im letzten Akt, wenn sie vor Kabanicha und ihrem Ehemann Tichon ihre Schuld bekennt und sich kurz vor ihrem Selbstmord von ihrem Geliebten Boris verabschiedet. Ihre Schwiegermutter Kabanicha zeichnet Deborah Polaski mit fester Stimme weniger als böse, sondern mehr als strenge, dem herrschenden Sitten- und Moralkodex verpflichtete Frau. Marian Talaba ist als Tichon ein unscheinbares Muttersöhnchen. Was zu Beginn ein wenig irritiert.

Klaus Florian Vogts silberglänzende jugendliche Heldenstimme für den Boris, entpuppt sich im Laufe des Abends als Ideallösung, verkörpert er doch im Grunde einen Weltfremdling, der den Moralkodex der Gesellschaft, in der er lebt, nicht versteht und durch seine Liebe zu einer verheirateten Frau diese in den Abgrund reißt. Als emanzipierte Varvara, Kabanichas Pflegetochter, setzt Stephanie Houtzeel ein vokales Glanzlicht, Nobert Ernst als ihr Geliebter Kudrjáš punktet mit seinem charismatischen lyrischen Tenor.

altFür die Inszenierung zeichnet der französische Regisseur André Engel verantwortlich, der bereits in Paris erste Janá?ek-Erfahrungen mit dem „Schlauen Füchslein“ gesammelt hat. Er verortet die Handlung unter den russischen Immigranten in New York in der Mitte des letzten Jahrhunderts. Indem sie sich an ihre Traditionen klammern, grenzen sie sich bewusst gegen den „American way of  life“ ab. Hier zerbricht Katja an ihrem Zwiespalt zwischen gesellschaftlichen Normen und ihrem Bedürfnis nach Liebe, was schlüssig und durchaus adäquat  ist.

Die Umsetzung ist repertoiretauglich, was für die Staatsoper entscheidend ist. Aber wird eine solche Inszenierung auch dem Anspruch gerecht, zu den ersten Opernhäusern der Welt zu zählen? Die Bühne – die angedeutete Silhouette von New York im Hintergrund, Katjas und Varvaras Zimmer, ein Hinterhof mit Blick auf ein Hochhausdach – wirkt schon jetzt antiquiert, die Personen bleiben auf Distanz, so dass das heute ohnehin nur schwer nachvollziehbare Sujet szenisch kaum berührt.

Von Seh-Erfahrungen sollte man sich eigentlich befreien, wenn sich der Vorhang hebt. Bei dieser Katja lassen sich die Erinnerungen nicht zerstreuen. Zu stark sind die Bilder von Ruth Berghaus, Robert Carsen, Christoph Marthaler oder Christof Nel im Gedächtnis verankert.

Weitere Vorstellungen: 20., 23., 27. und 30. Juni sowie 10., 14., 17. und 21. November. Der Janá?ek-Zyklus wird am 11. Dezember mit der Premiere von „Aus einem Totenhaus“ in der Inszenierung von Peter Konwitschny fortgesetzt www.staatsoper.at
Bilder: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn