Serse sollte heiraten

REST DER WELT / WIEN / SERSE

24/10/11 In der Werbung tritt das Theater an der Wien noch immer als das „neue Opernhaus“ auf. Wirklich neu ist es mittlerweile nicht mehr, aber im Vergleich mit den beiden etablierten Häusern dasjenige, das die spannendsten Entdeckungen ermöglicht.

Von Oliver Schneider

Nach dem Saisonstart mit Benjamin Brittens „The Turn of the Screw“ entführt Roland Geyer sein Publikum zurzeit mit Händels „Serse“ wieder in die barocke Affektenwelt. Händels drittletzte Oper und seit Jahren wieder fester Bestandteil der Musiktheaterspielpläne. Mit diesem „dramma per musica“, wie der Komponist es selber bezeichnete, verließ er behutsam den strengen Weg der Opera seria, indem er auf lange Rezitative verzichtete und die Handlung mit Arien und Duetten weitertrieb. „Serse“ ist auch in Bezug auf das Libretto außergewöhnlich, weil dieses zur Zeit der Uraufführung bereits fast hundert Jahre alt war und der Komponist – anders als in den meisten seiner Werke – die komische Nebenhandlung nicht eliminierte. Der Diener Elviro (der sonore Andreas Wolf) darf nach Strich und Faden Verwirrung stiften.

Die Geschehnisse sind allerdings ohnehin schon verwirrend genug. Dreh- und Angelpunkt ist Serses Ziel, Romilda zu heiraten, die aber wiederum die heimliche Geliebte seines Bruders Arsamene ist. Der wiederum ist das Objekt der Begierde von Romildas Schwester Atalanta. Zu guter letzt spielt die von Serse verlassene Amastre eine gewichtige Rolle beim Entwirren des Liebes- und Intrigenknäuels.

Regisseur Adrian Noble hat, wie schon vor einem Jahr bei „Alcina“ in der Staatsoper, für eine stimmige Umsetzung gesorgt. Eine graue, kreisrunde Mauer, die sich immer wieder öffnet, umschließt einen Hain auf einer Drehbühne. Je nach Stand der Handlung zeigen Noble und sein Ausstatter Tobias Hoheisel mal belaubte, mal kahle Bäume im Hain. Noble überträgt die besungenen Affekte so in eine dezente, symbolhafte  Bildsprache, die dem spielfreudigen Ensemble den nötigen Raum zur Entfaltung belässt. Das ist gut so, denn das Solistenseptett und der ausgezeichnet einstudierte Arnold Schoenberg Chor präsentieren sich in Bestform.

Malena Ernman legt sich als Serse, der schlussendlich zwar heiratet, wenn auch nicht die zunächst Auserwählte, mächtig ins Zeug. Sei es, dass sie vor Wut toben darf oder innigste Gefühle zum Ausdruck bringen darf. Sie ist mit ihrem warmen, schlanken Mezzosopran eine perfekte Besetzung für die Partie. Bejun Mehta als Arsamene liess sich in der besuchten Vorstellung als indisponiert entschuldigen, überzeugte aber gleichwohl ohne Wenn und Aber mit seiner geschmeidigen Stimme und flexiblen Koloraturen. Adriana Ku?erová glänzt als stimmlich agile Romilda, während Luciana Mancini mit ihrem androgynen Mezzosopran als Mann verkleidete Amastre zum veritablen Dreh- und Angelpunkt der Aufklärung wird. Danielle de Niese gibt die Intrigantin Atalanta mit blitzblanken Koloraturen und vor allem verführerischem Charme, von dem in ihrer Arie „Un cenno leggiadretto“ am Ende des ersten Akts auch das Publikum und der sie auf der Violine begleitende Dirigent Jean-Christophe Spinosi etwas zu spüren bekommen.  Anton Scharinger stattet Romildas und Atalantas Vater Ariodate mit viril-profundem Bass aus.

Spinosi und das französische Ensemble Matheus haben schon 2009 mit dem „Messiah“ ihre Kompetenzen in Sachen Händel bewiesen und doppeln jetzt nach. Es wird geschmeidig und differenziert – wie es sich gehört – musiziert: mal feinfühlig, mal impulsiv. Ein wahres Hörvergnügen. Am Samstag gaben Spinosi und sein Ensemble auch konzertant Vivaldis „Orlando furioso“.

Händels „Serse“ ist eine Neuproduktion, der man eine baldige Wiederaufnahme im für die Barockoper idealen Theater an der Wien wünscht, denn es passt einfach alles.

Weitere Vorstellungen: 25. und 27. Oktober - www.theater-wien.at
Bilder: Theater an der Wien / Armin Bardel