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Tief traurig und derb klamaukig

REST DER WELT / GRAZ / PIQUE DAME

14/11/11 Poetische Bilder, einfühlsame Schilderungen von Schicksalen, greller Klamauk – große Oper à la Peter Konwitschny. In der Grazer Oper inszenierte er Tschaikowskis „Pique Dame“.

Von Jörn Florian Fuchs

Zuletzt machte man sich ein wenig Sorgen um Peter Konwitschny, den viele ja immer noch für ein Zentralgestirn (ost)deutschen Regisseurstheaters halten. Seit Konwitschny an der Oper Leipzig eine Art Mausoleum zu Lebzeiten schuf, indem er diverse ältere Arbeiten dort – meist eine Spur matter – neu einrichtete, wirkten auch die wirklich neuen Produktionen meist seltsam belanglos und verkaspert. Schlimmstes Beispiel: der katastrophale, banale Gluck-Zyklus oder die Verballhornisierung von Bach-Kantaten.

Auch bei der Grazer „Pique Dame“ (eine Koproduktion mit Leipzig) wird reichlich herumgealbert, wobei es neben Gags, wie etwa einer Partygesellschaft in Hasenkostümierung nebst glitzernder Disco-Karotte, öfters auch handfest zur Sache geht. Sexuelle Lust wird vorwiegend a tergo ausgelebt und dabei gibt es auch ungewöhnliche Konstellationen, zum Beispiel Hermann und die Gräfin. Letztere weiß um einen Trick, wie man mit Karten spielend zu Zaster kommt, ersterer ist ein geldgeiler Militärmann. Die Gräfin hat eine sehr hübsche Enkelin, in die sich Hermann bald verliebt, doch seine Spielsucht führt ihn ins Verderben, er erschreckt die gerade in Jugenderinnerungen weilende Gräfin zu Tode (wobei er sie nebenbei auch noch penetriert) und erschießt sich am Ende selbst – dem Wahnsinn und den verhängnisvollen Karten verfallen…

Bei Konwitschny stürzt sich im Schlussbild ein wild gewordenes Völkchen aufs übrig gebliebene Bargeld, drei Akte zuvor hisste man eine große Rubel-Flagge. Geld, Schmuck, Äußerlichkeiten, einzig darum geht es fast allen, nebenbei ertüchtigt man sich sportiv wie in den Inszenierungen kommunistischer Operettenstaaten oder lässt der Gier nach Sex freien Lauf. Ziemlich stilsicher zeigt Konwitschny diese leere, leer laufende Society, mit all ihren Süchten, aber auch ihrem Sehnen nach Sinn. Manches gerät dabei zu langatmig und altbekannt sind viele Einfälle, wie Auf- und Abtritte durch den Orchestergraben oder derb gebrochene Balletteinlagen. Zumindest im letzten Drittel des dreistündigen Abends jedoch verfugen sich die szenischen Elemente überzeugend miteinander.

Nicht gerade brillant ist wiederum die Idee, bei den schönsten russischen Volksweisen das Saalllicht anzuknipsen und sich auf der Bühne lautstark zu empören, was für eine Kitschmusik man da spiele.

Völlig neu gedeutet wird die Figur der Mascha (Nazanin Ezazi), eigentlich nur Zofe Lisas, agiert sie hier als eine Art Pierrot lunaire, der immer wieder ins Geschehen eingreift, die Dinge vorantreibt oder auch mal kurz anhält. Bei einem der traurigsten Momente, als Lisa gerade von Hermann zum letzten Mal verlassen wurde, dockt Mascha mit einem schneeweißen Schiff an und fährt mit ihrer Herrin einfach weg aus all dem Elend.

Mit Asmik Grigorians Lisa und Avgust Amonovs Hermann ist das glücklose Hauptpaar sehr gut besetzt, nur in der höchsten Höhe gerät Grigorian etwas ins Schleudern. Enttäuschend am Pult des Philharmonischen Orchesters Graz leider Tecwyn Evans, der einen ungemein undurchsichtigen Tschaikowski dirigiert, mal verschwommen-schummrig, dann plötzlich laut und krachend, dazwischen die Sänger unspektakulär begleitend.

Mit dieser Arbeit kann Peter Konwitschny zwar nicht ganz an sein früheres Niveau anknüpfen, aber es zeigt sich, dass er offenbar wieder Lust und Kraft hat. Das Grazer Publikum war übrigens ganz aus dem Häuschen und überklatschte rasch und energisch ein paar Buhrufer.

Aufführungen bis    -
Bilder: Bühnen Graz / Werner Kmetitsch

 

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