Das Mafia-Headquarter ist nun am Kärntner Ring

REST DER WELT / WIEN / AUS EINEM TOTENHAUS

20/12/11 Janá?eks Oper wird erstmals in der Staatsoper gespielt. Peter Konwitschnys-Zürcher Inszenierung wirkt  in Wien wie ein schaler Aufguss, dafür ist die Aufführung musikalisch dank Franz Welser-Möst noch zwingender als in Zürich.

Von Oliver Schneider

altEinige verschreckte Besucher verlassen den Zuschauerraum während der in eine brutale Vergewaltigung mündenden zentralen Theaterszene. Am Ende der 90minütigen, pausenlosen dritten Aufführung von Leoš Janá?eks „Aus einem Totenhaus“ erhebt sich ein Buhkonzert, das wohl der Regie gilt. Das war beim Koproduktionspartner in Zürich anders, wo die Inszenierung bereits im vergangenen Juni Premiere hatte. Zur Erinnerung: Regisseur Peter Konwitschny und sein Ausstatter Johannes Leiacker lassen Janá?eks letztes Bühnenwerk, in dem der mährische Komponist und Librettist Episoden aus Dostojewskis autobiographischen „Aufzeichnungen aus einem Totenhaus“ verarbeitete, in weißen Clubräumlichkeiten einer mafiösen Herrengesellschaft statt in einem sibirischen Gefangenenlager spielen.

Wie der Romanvorlage fehlt der Oper die lineare Handlung. Einen Rahmen bilden nur das Einliefern und Entlassen des politischen Häftlings Gorjantschikow (stimmlich ausdrucksvoll Sorin Coliban), einen zweiten die Pflege eines kranken Adlers durch die Gefangenen (respektabel einstudierter Chor von Martin Schebesta), der bei Konwitschny nur durch das Imitieren von Flugbewegungen durch die Mafiosi angedeutet wird. Innerhalb des Korsetts erzählen vier Gefangene, warum sie zu Delinquenten geworden sind.

altÄhnlich wie in einem Gefangenenlager herrscht auch bei der Mafia ein Überlebenskampf, es gilt das Recht des Stärkeren. Gefühle haben keinen Platz. Wenn sie jemand zeigt, wird er dafür verhöhnt oder physisch malträtiert. Doch was in Zürich als eine sinnvolle Aktualisierung erschien, funktioniert im größeren Haus am Ring nicht. Dies hängt möglicherweise damit zusammen, dass der Regisseur krankheitsbedingt die Einstudierung seinem Assistenten Alexander Edtbauer überlassen musste. Beschränkt hat er sich auf ein Arrangement, die Personenführung wirkt wie bei einer kaum geprobten Wiederaufnahme.

Einiges ist schlicht überflüssig, so zum Beispiel dass der Gefangene Skuratow (nach anfänglicher Unsicherheit stimmlich ausgezeichnet Herbert Lippert) eine Dame im Publikum „belästigen“ muss, die dann mit ihrem aufgebrachten Ehemann das Parkett verlässt. Nicht nur das Parkett, auch die Logen und die hell erleuchteten Foyers werden ins Geschehen miteinbezogen – das kennt man bei Konwitschny –, doch näher ans Heute kommt die Inszenierung damit nicht heran.

Wie in Zürich wird eine modernisierte Fassung des Librettos auf die Bildschirme in den Vordersitzen projiziert, womit Konwitschny Widersprüche zwischen dem Bühnengeschehen und dem gesungenen Text vermeiden will, was an sich eine gute Idee ist. Manches ist allerdings zu banal geraten („doof bleibt doof, da helfen keine Pillen“), anderes bei einem großen Dichter schlicht kopiert. Leider hat es die Wiener Staatsoper auch versäumt, den Originaltext zum Vergleich ins ansonsten lesenswerte Programmbuch aufzunehmen.

altAch ja, zur Orchesterintroduktion blickt der Zuschauer jetzt von der Staatsoper auf die Kreuzung Kärntner Ring und Kärntner Strasse, in Zürich war es der Bellevueplatz am See. Das Mafia-Headquarter im Loft befindet sich also neu in Wien.

Beim Blick auf die dramatischen politischen Entwicklungen in Nordafrika, im Orient und in Afrika muss man sich nach diesem Abend fragen, was dem Zuschauer heute aufgrund von TV-Bildern, Internet und Zeitungsberichten näher ist: ein Gefangenlager mit seinen Grausamkeiten oder die Mafia-Welt?

Was den Abend rettet, ist die erstmalige Aufführung der gänzlich entschlackten Partitur, die beim rational ans Werk gehenden Franz Welser-Möst ihren wahren Meister gefunden hat. In ihrer Schroffheit ist es die Musik, die Betroffenheit erzeugt. Das Staatsopernorchester taucht unter der souveränen Leitung seines Generalmusikdirektors mit ungeschminkter Klarheit, schneidenden Härten, aber auch lautmalerischer Sensibilität in Janá?eks Klangwelt ein. Zuweilen hätte man sich nur dynamisch ein wenig Zurücknahme gewünscht, da – zumindest im hinteren Parkett – nicht alle Protagonisten immer hörbar waren.

Die meisten kleineren und größeren Partien kann die Staatsoper mit bewährten Ensemblemitgliedern besetzen. Neben Lippert und Coliban seien noch Misha Didyk als Luka Kusmitsch mit festem Stimmsitz und Michael Roider als klangvoller Schapkin zu nennen. Weit herausragend ist aber Christopher Maltman mit vollmundiger Profundität als Schischkow, der im Gegensatz zu seinen Kollegen auch ohne die ordnende Hand des Regisseurs zu gestalten weiss.

Wiegt man die Aufführungen in Zürich und Wien gegeneinander auf, so schlägt das Pendel dieses Mal für die Schweizer Bankenstadt aus. Ob solches auch nach dem Weggang Pereiras im nächsten Sommer noch passieren wird?

Weitere Aufführungen am 27. und 30. Dezember - www.staatsoper.at
Bilder: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn