"Värrwirrtä Wält!"

REST DER WELT / GRAZ / EIN SOMMERNACHTSTRAUM

16/01/12 Zettel heißt wirklich Zettel, aber die anderen sind ein bunt zusammengewürfeltes Ost- und Süd-Völkchen: Ratislav und Vassilij, Hilmi und Yoshka heißen sie, und solche Menschenbewegung hätte sich der gute alte Shakespeare auf seiner Insel auch in einem damals durchaus kräftig durchmischten Europa nicht träumen lassen.

altJetzt sind sie also da, und wenn es dann ernst wird mit der Aufführung von "Pyramusch und Tischbi", wie sie sagen, wird der feinen Gesellschaft (die dafür in den Proszeniumslogen des Grazer Schauspielhauses Platz nimmt) sehr plausibel gemacht: Es ist "Theater von Menschen mit Migrationshintergrund".

Bettelarmes Theater obendrein, denn schon ganz am Anfang hören wir, dass es freien Theatergruppen in Ungarn - und anderswo - nicht so toll geht derzeit. Und die Subvention von 15.000 Euro, um die sie telefonisch (!) bei Theseus ansuchen? Sie bekommen die ganze Summe ohne Umschweife zugesagt - und später sogar auch ausgezahlt als dickes Bündel Scheine. Das ist nicht weniger verwunderlich als alles andere, was sich im Wald abspielt in dieser Sommernacht.

altDer Sommernachtstraum: kein verwunderlicher Zielpunkt für Viktor Bodó. In ihm hat das Grazer Schauspielhaus längst so etwas wie einen Hausregisseur gefunden, aus seiner Szputnyik Shipping Company reichert man das eigene Ensemble um schräge Typen an. Dass dabei ein tollkühnes Sprachengewirr herauskommt, bei dem man sich als Zuhörer doppelt konzentrieren muss? Macht nichts. Viktor Bodós Inszenierungen steuert man nicht wegen der geschliffenen Rede an, sondern um sich hineinziehen zu lassen in Imagination und Theater-Wunder: "Värrwirrtä Wält!" - das war so in Kafkas "Schloss" und in Carolls "Alice" (damit ist das Grazer Schauspielhaus gleich mal zum Young Director's Project der Salzburger Festspiele eingeladen worden) und nicht anders in Peter Handkes vielsagend-wortloser Regieanweisungs-Poesie "Die Stunde da wir nichts voneinander wussten" (gezeigt auch beim Berliner Theatertreffen). Dass Bodós Grazer Inszenierungen für den österreichischen Nestroy-Theaterpreis nominiert werden, ist fast schon Routine.

altDas Team ist stabil: Die Kostümbildnerin Fruszina Nagy gehört dazu und der Komponist/Pianist Klaus von Heydenaber, der mit seinem kleinen Orchester wieder eine anregende Mischung aus Walzer und Jazz, Klezmer und vielem mehr liefert. Ein beziehungsreiches und anregendes akustisches Environnement mit Stil.

Pascal Raich hat diesmal einen engen Hinterhof entworfen, um neunzig Grad vom Zuschauer weg gekippt, so dass der Blick in einen kleinen Himmelsausschnitt führt. Imaginäre Traumtänzer sind also auf den Fassaden unterwegs (ein Effekt, den man mit Understatement einsetzt und nicht zu Tode reitet). In diesem Hof wird auch Wäsche aufgehängt, an vielen Kordeln, und das ergibt einen Wald aus weißen Kleidungsstücken, in dem herrlich hinterher und aneinander vorbei hetzen kann. Da verheddert sich sogar Oberon einmal in den Stricken.

Theseus/Oberon und Hippolyta/Titania sind jeweils gleich besetzt: Ob von feiner Lebensart oder von Naturkräften getrieben - die Sache läuft aufs Gleiche, auf unkontrollierbare Liebeslust hinaus. Wie Titania (Kata Petö) sich dann als eine Art Spider-Woman über Zettel (Sebastian Reiß) hermacht, der auch ohne Eselskopf charmant-animalische Figur macht, ist nicht von schlechten Eltern. Die Liebeswirren zwischen Hermia/Helena/Lysander/Demetrius fallen nicht minder handfest aus. Liebe ist keine Standesfrage.

Und dazwischen eben immer: die multi-linguistischen Handwerker, die ihr unbeholfenes Tun mit mächtig viel Selbstironie begleiten. So mancher Seitenhieb aufs Theater fällt ab, zumal sich ja auch Oberon und Puck mehr als Spielmacher und nicht als Rollenspieler gerieren. Auch da: Ironie, aktuelle Bezüge, herzhafte verbale Sidekicks, die das Theater und den Kulturbetrieb selbst zum Thema machen. Puck (Thomas Franck) ist ein tollpatschiger Entertainer, ein Charmebolzen zwischen Lausbub und Comedian.

Viktor Bodós Weg zum Stück führt, wie er im Programmheft kundtut, über Ensemble-Improvisationen. Jede Figur ist typengerecht perfekt aus dem jeweiligen Darsteller, aus der jeweiligen Typen-Konstellation heraus entwickelt. Das ist Stärke, aber zugleich auch eine Schwäche von Viktor Bodós Theater. Der verbindende rote Faden, die Gewichtung der Szenen zueinander: Das kommt für den ungarischen Theaterzauberer erst in einem zweiten Arbeitsgang. Und bevor der einsetzte, war diesmal offenbar der Premierentermin auch schon da. So richtig fertig wirkt die Grazer Aufführung noch nicht. Aber bei all dem Witz, angesichts der Spiellust und den vielen zaubrischen wie derben kleineren und größeren Überraschungen sieht man ihr das gerne nach.

Vorstellungen bis 31. März - www.schauspielhaus-graz.com
Bilder: Schauspielhaus Graz / Lupi Spuma