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Unverstandene Männer-Versteherin

REST DER WELT / LINZ / DIE KUNST DES FALLENS

07/05/12 Noch mehr menscheln könnte es eigentlich nur beim Frisör, wo Menschen angeblich so gerne alle ihre Nöte und Sorgen abladen. Als Psycho-Depot eignet sich auch gut eine Bierstube. Dort siedelt Christoph Nussbaumeder sein Stück „Die Kunst des Fallens“ an. Österreichische Erstaufführung war in den Linzer Kammerspielen.

Von Reinhard Kriechbaum

Ideal, wenn in einem solchen Etablissement ein weiblicher Engel wie Sigrid seine seelenhygienischen Dienste (und nicht nur diese) anbietet. Wer auch nur irgendwelche Schatten auf dem Gemüt hat, lässt diese sich von Sigrid, dem Endzwanziger-Single, einfach wegleuchten. Empathie nennt man gemeinhin diese Fähigkeit, die sich so wunderbar kommod konsumieren lässt. Sigrid hat nicht nur gute Wörter für jeden, dem sie ein Getränk hinstellt. Ein koketter Augenaufschlag, eine Umarmung für den heute wieder gar so Armen – und so gibt eines das andere.

Kein Wunder, dass Sigrid „zieht“ bei den Männern und man im Gastgarten an der Donau um die treue Stammklientel  nicht bangen muss. Kein Wunder aber auch, dass Sigrid selbst hoffnungslos auf der Strecke bleibt, als distanzlose Klempnerin an der malträtierten Männerseele: eine selbst unverstandene Männer-Versteherin. „Ich muss auf alle schauen“, sagt sie. Ein wenig zoomen täte manchmal vielleicht nicht schaden…

Dramaturgisch hat Christoph Nussbaumeder ein Stück geschrieben, das mit Ödön von Horvàths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ mehr als nur eng verwandt ist. Ein Epos voller praller Volksfiguren, die kommen und gehen und wiederkommen und einfach nicht gehen. Ein jeder schnürt seinen Sorgen-Rucksack auf. Dort sind natürlich heutige Nöte drin, zerbrochene oder gar nicht erst zusammen gezimmerte Beziehungskisten, Verlust der Arbeit, Frühpension mit und ohne Hund als treuem Begleiter, Alkoholismus und Rabaukentum: die ganze Palette von Macho bis Underdog, von Grobian bis zartem Seelenpflänzchen. Es wird dick aufgetragen, aber wenn der Biergarten voll ist, häufen sich halt auch die Wechselfälle des Lebens. Die Fabulierlust des Autors ist schier ungebremst.

Da arbeitete sich die Regisseurin Bernarda Horres wacker durch, sie tariert und arrangiert mit viel Geschick das uferlose Leid am Donauufer. Die Klapptischen mit den herzigen karierten Tischtüchern (Ausstattung: Anja Jungheinrich) relativiert manch überschwappende Emotion. Liebenswert absurd ist es letztlich, wie all die Leute ihr Allein- und Ausgesetztsein in der biergarten-geborgenen Gruppe lauschig zelebrieren. Es kommt beinah schon ironisch rüber, was der Autor aber überhaupt nicht so, sondern bierernst meint.

Die Aufführung lebt schließlich von der Hauptfigur: Anna Eger gelingt es, viel Sympathie zu wecken die disparate Sigrid. Das müsste nicht so sein, denn diese eigentlich aufdringliche Seelenretterin, eine unglückliche Symbiose von Mutter Teresa und Mutter Courage, nimmt nicht automatisch für sich ein. Anna Eger zeigt uns aber einen dünnhäutigen Menschen, verkorkst irgendwie, dessen tiefe Unsicherheit in Koketterie ausartet, die von den anderen stets falsch verstanden wird. Eine interessante, zurückhaltende Figur auch: Paul, der anheuert im Bierlokal, weil er sowohl Job als auch Ehefrau eingebüßt hat. Aurel von Arx spielt ihn leise und zurückhaltend. Er ist Künstler, Zeichner – und er hat als einziger die nötige Sensibilität für Sigrid, aber nicht die Kraft, zu ihr zu stehen. Das ist in der Inszenierung schön und ruhig herausgearbeitet.

Und der Stücktitel, „Die Kunst des Fallens“? Die beherrschen alle Figuren irgendwie, sie stehen stets an Abgründen und rappeln sich doch immer wieder auf. Bis auf den Einen, der sein Leben im freien Fall einbüßt.

Bis 23. Juni in den Kammerspielen des Linzer Landestheaters - www.landestheater-linz.at

 

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