Vom Sterben in der Transithalle

REST DER WELT / WIEN / LAZARUS

16/12/13 Regisseur Claus Guth und Dirigent Michael Boder kombinieren im Theater an der Wien Schuberts Oratorien-Fragment „Lazarus“ mit Chorwerken des Komponisten sowie Charles Ives‘ „The Unanswered Question“

Von Oliver Schneider

025„Die Zauberflöte“, „La traviata“, Fidelio“ oder „Tristan und Isolde“? Wer nach Abwechslung im Musiktheater lechzt, ist zurzeit mal wieder gut an der Linken Wienzeile aufgehoben. Claus Guth und sein bewährtes Team – neben Ausstatter Christian Schmidt ist Dramaturg Konrad Kuhn zu nennen – sowie Michael Boder hieven Franz Schuberts nicht unbedingt sehr theatralisches „Lazarus“-Fragment auf die Bühne. Mit Schuberts Opern hat Guth bereits gute Erfahrungen gesammelt. Er inszenierte 2006 seinen „Fierrabras“ in Zürich. Und mit der szenischen Einrichtung von Händels „Messiah“ erzielte er vor fast fünf Jahren ebenfalls im Theater an der Wien einen großen Erfolg. Gute Grundlagen für ein neuerlich spannenden Musiktheaterabend?

Zwei Oratorien, zwei Auferstehende – Jesus erweckte den Lazarus von den Toten –, die Themen Tod und Erlösung, Glauben und Zweifel, so lassen sich Linien zwischen dem Händel- und dem Schubert-Abend im Theater an der Wien ziehen. Die Schubert-Partitur bricht mitten in der Grablegung ab. Warum, darüber streitet sich die Forschung bis heute. Uraufgeführt wurde das Fragment erst 35 Jahre nach Schuberts Tod und findet auch heute selten den Weg auf die (Konzert-)Podien.

024Guth knüpft in seiner szenischen Deutung unmittelbar an seinen „Messiah“ an. Entwickelte er damals eine Geschichte in Rückblenden um einen Selbstmord, so interessiert er sich nun für einen Todkranken (Lazarus), der in einer Transithalle am Flughafen seine letzten Stunden verlebt (für Kurt Streit eine Idealpartie, zusätzlich verdoppelt mit dem Tänzer Paul Lorenger). Die Angehörigen werden kaum damit fertig. Die vorbeihuschenden Reisenden hasten zu ihren Gates oder vertreiben sich müde in den Sesseln kauernd die Zeit, ohne dem so nahen Leid Beachtung zu schenken. Der Transitraum wird zur Metapher für die Schwelle zwischen Leben und Tod. Besser hätte man den Ort nicht wählen können, und selbstverständlich hat Guth das Ganze höchst sensibel bebildert, wenn sich im ersten Teil Trauerarie an Trauerarie aneinander reihen und beim Gesang die Umwelt jeweils in Starre fällt. Jedoch gerade der erste Teil zieht sich, so wunderbar die Musik des von Schubert 1820 abgebrochenen einzigen Oratoriums auch ist.

Szenisch ergiebiger und musikalisch abwechslungsreicher ist der zweite Teil des Abends, an dem neben dem Fragment der zweiten Handlung des Oratoriums unmittelbar anschließend Charles Ives „The Unanswered Question“ erklingt.

023Der Kranke ist mittlerweile verstorben, und nun taucht ein Geschäftsmann auf (Simon), der seinem Leben ein Ende setzen will, aber nicht weiß wie. Florian Boesch interpretiert die inneren Qualen des Mannes glaubwürdig und darf einen willkommenen dramatischen Akzent an diesem Abend setzen. Für Annette Dasch liegt die Lazarus-Schwester Maria höhenmäßig an der Grenze, sie punktet wie immer mit ihrer satten Mittellage. Sehr überzeugend gestaltet Stephanie Houtzeel die zweite Schwester Martha, und die junge Ci?dem Soyarslan gefällt als Jemina.

Insgesamt kann man der Regie zugutehalten, dass sie aus der Oratorium-Collage bewusst keine Oper gemacht hat. Es schlägt aber auch zu Buche, dass dem ersten Teil einer gewissen Monotonie anhaftet und der zweite mit Marthalerschen Anleihen in den Personen der Statisten und des Chors (hervorragend der von Erwin Ortner einstudierte Arnold Schoenberg Chor) insgesamt etwas arg verkopft wirkt. Musikalisch bieten die Wiener Symphoniker unter Michael Boder einen gediegenen Schubert, der aber durchaus auch im ersten Teil mehr Akzente vertragen würde. Wohler scheinen sich die Musiker in dieser Produktion bei Ives zu fühlen.

Weitere Vorstellungen: 16., 18., 20. und 23. Dezember – www.theater-wien.at
Bilder: Theater an der Wien / Monika Rittershaus