Heute auf dem Spielplan: Kopf ab mit Salto!

REST DER WELT / GRAZ / TURANDOT

21/01/14 Die pathologische Variante einer „Registerarie“ – Turandot lässt die Köpfe der Liebhaber, die an ihren Rätseln gescheitert sind, wie medizinische Präparate in Spiritus einlegen. Was für ein Laboratorium für Ping, Pang und Pong. Die drei sind mit der delikaten Aufgabe betraut, auf Regalen stehen wohl sortiert die Glasgefäße mit dem makabren Inhalt...

Von Reinhard Kriechbaum

203Es fehlt in der Grazer Inszenierung von Marc Arturo Marelli, die er auch schon in Stockholm gezeigt hat, nicht an publikumswirksamen Elementen. Es ist ja auch eine respektable Theater-Performance, als die Marelli Puccinis Oper anlegt: Der Chor/das Volk sitzt in Reihen auf samtbezogenen Stühlen und schaut sich die Performance an, die da heißt: wieder ein Kopf ab. Repertoire eigentlich, aber doch reizvoll, es live zu erleben – fast wie Oper. Die Impresarii am chinesischen Hof wissen, wie man die Leute bei Laune hält. Die Henker sind lustige Kerle, sie schlagen Salti schlagen und springen über die frisch geschärften Klingen. Die höfischen Rituale werden zelebriert, auch mit dem Kaiser im Rollstuhl.

Das ist die eine Komponente dieser Werkdeutung. Die andere heißt: ein Verfließen von blau eingefärbter Traumwelt und bunter Wirklichkeit. Puccini sitzt in seinem Zimmer am Klavier, erträumt sich seine Geschichte und ist dann selbst Calaf, der der Rätsel-Prinzessin hoffnungslos verfällt. Liù, hergerichtet als unattraktives Pummelchen, muss sich das alles erste Reihe fußfrei anschauen und weiß sichtlich nicht, wie ihr geschieht. Im dritten Akt wird Kalaf/Puccini in seinem Bett festgebunden, Liu küsst ihn ein erstes und letztes Mal – und nach ihrem Selbstmord legen die Polizisten die Leiche dem Calaf für geraume Zeit ins Bett.

204Diese doppelte Brechung zwischen Traum- und Theaterebene, bei der vor allem im dritten Akt nicht gespart wird mit hobbypsychologischer Deutung, erspart dem Regisseur letztlich viel Arbeit. Manch lange instrumentale Passage kann er mit Umbauten und Lichtwechseln zwanglos optisch aufmotzen. Marelli als sein eigener Bühnenbildner hat ganze Imaginationsarbeit geleistet. Man hat viel zu schauen, aber das geht alles nicht ins Leere, denn die Aufführung in der Grazer Oper – Premiere war am Samstag (18.1.) – hat musikalisch ansehnliches Format.

Der Venezulaner Domingo Hindoyan, seit dieser Saison Erster Assistent von Daniel Barenboim an der Staatsoper Berlin und auch eng ans Grazer Haus gebunden, sorgt für eine plastisch durchformte Orchesterleistung. Er hat viel Sinn für die große Linie, dem markigen Klang (mit Mut zur Schärfe) ist er keineswegs abhold. Er weiß aber gut, wo er das Dickicht etwas lüften muss, um den Sängern den nötigen Freiraum zu geben. Mlada Khudoley in der Titelrolle braucht auch heftigeren orchestralen Seegang nicht zu scheuen, im Finale zieht sie auch im gehobenen dynamischen Bereich gestalterisch alle Register – manche Höhen-Schärfe wird in diesem Sinn ganz bewusst eingesetzt.James Lee als Calaf, der Kantilene um Kantilene höhensicher ausformt, geriet am Premierenabend zuletzt konditionell fast ins Hintertreffen. Die Reinheit und Lauterkeit in Person: Gal James als Liù. Warum man sie wohl optisch gar so jämmerlich hergerichtet hat? Köstlich Ivan Oreš?anin, Taylan Reinhard und Martin Fournier geben ein köstliches Trio ab, bei ihrer Schwärmerei von einem glücklicheren China gar sinnlich und satirisch zugleich. Konstantin Sfiris als Timur leidet mit Rabenschwärze. Bis in die kleineren Rollen ist die Aufführung gut und musikalisch liebevoll durchgearbeitet.

Aufführungen bis 25. Mai – www.oper-graz.com
Bilder: Grazer Oper / Werner Kmetitsch