Familienfehde in den Alpen

 

REST DER WELT / WIEN / LOHENGRIN

14/04/14 Die Staatsoper ersetzte die ungeliebte Inszenierung von Barrie Kosky durch eine Neuproduktion von Andreas Homoki. Er versetzt Wagners „Lohengrin“ in die gesellschaftliche Enge eines Alpendorfs an der Schwelle zum vorletzten Jahrhundert.

Von Oliver Schneider

Vor fast neuneinhalb Jahren erhob sich ein Buhorkan, als der australische Regisseur und heutige Intendant der Komischen Oper Berlin Barrie Kosky nach der „Lohengrin“-Premiere vor den Vorhang trat. Und auch in den Folgevorstellungen konnte sich das Wiener Publikum nicht mit den grellen Fantasy-Bildern und einer blinden Elsa anfreunden. Doch Koskys Berliner Vorgänger, Andreas Homoki, der heute das Opernhaus Zürich mit künstlerischem Erfolg leitet, ereilte am Samstagabend das gleiche Schicksal. Warum eigentlich? Er erzählt doch das Märchen vom Schwanenritter total fokussiert auf die Protagonisten, hoch konzentriert und spannend von der ersten bis zu letzten Minute. Über die Frage der Verortung kann man, wie immer, geteilter Meinung sein. Ob ein Bergdorf an der Schwelle zum 20. Jahrhundert den Zuschauern näher ist als das Mittelalter, sei dahingestellt. Trachten sind immerhin en vogue (Ausstattung: Wolfgang Gussmann).

Homokis Plot funktioniert auf jeden Fall bestens. Zwei Familien befehden sich in einem abgeschiedenen Alpendorf. Die Vorgeschichte wird im Vorspiel erzählt: Gottfrieds Beerdigung und Elsas Ausschlagen von Telramunds Hand. Gespielt wird den ganzen Abend in einer schmucklosen Holzhütte als Symbol für die soziale Enge. Und den Druck, dem die gar nicht schwache Elsa ausgesetzt ist. Ihr Traum heißt Liebe, den symbolisiert von Anfang an ein Bild mit zwei Herzen an der Rückwand des Raums.

Elsas Traum manifestiert sich auch in einem Spielzeug-Schwan. Ihn reckt sie empor, während sich der Chor, einen Wirbel formierend, um sie bewegt. Dann kauert er vor ihr, der erlösende Ritter Lohengrin, der seinen Kopf erst einmal wie ein Kind in Elsas Schoss bettet. Wie ein Retter aus der dörflichen Enge wirkt dieser Lohengrin nicht, vor allem wenn man neben Klaus Florian Vogt einen derart präsenten Gegenspieler wie Wolfgang Koch als Telramund sieht, der nach Elsas Zurückweisung nur noch eines leichten Ansporns zur Rache durch seine böse Frau Ortrud benötigt.

Wirkt Michaela Martens Ortrud im ersten Aufzug noch darstellerisch blass, mehr wie eine matronenhafte Gasthauswirtin als eine böswillige Reaktionärin, so kann sie den Eindruck im für sie zentralen zweiten Aufzug kehren. Der erste Zweikampf mit ihrer Rivalin Elsa endet noch unentschieden: Sie stößt die unwissende Braut von zu einer Art Laufsteg zusammengestellten Tischen, missbraucht den Hochzeitsblumenschmuck als Fussbälle und zerstört symbolisch das Bild mit den Herzen. Noch wankelt Elsa nicht. Erst die Attacke des verbannten Telramunds vermag ihre Kraft zu brechen, ihren Gatten betrachtet sie von nun an mit in ihr nagenden Zweifeln. Ist er der starke Retter, den sie sich wünscht?

Ein Brautgemach würde wohl in diese nüchterne Atmosphäre nicht passen. Zu weit sind die Brautleute schon voneinander geistig und seelisch entfernt. Hier dürfen Vogt und Camilla Nylund aber zeigen, inwieweit sie sich die Partien über die letzten Jahre zu eigen gemacht haben. Mehr kann man sich nicht wünschen.

Im Traumwirbel ist Lohengrin gekommen, im Wirbel zieht er nach der Gralserzählung wieder von dannen. Der Traum ist aus. Zurück bleibt ein embryohaft zusammengekauerter Gottfried, ganz so wie zu Beginn Lohengrin. Der neue Herrscher von Brabant? Mitnichten, gestärkt geht Elsa aus dem Traum hervor und setzt sich die Krone gleich selbst auf.

Vom Publikum gefeiert wurde Mikko Franck am Pult des fast durchwegs fabelhaften Staatsopernorchesters. Franck hatte erst kürzlich am Pult der Staatsoper in einigen Repertoire-Vorstellungen debütiert, nun durfte er bereits eine Premiere dirigieren. Seinen ersten Lohengrin. Zwischen Franck und dem Orchester hat es von Anfang gefunkt, das war Liebe auf den ersten Blick. Dabei war er, wie schon bei der Uraufführung von Iain Bells „A Harlot’s Progress“ im Herbst im Theater an der Wien, erst zu einem späten Zeitpunkt in die Produktion eingestiegen. Bertrand de Billy hatte sich bekanntlich wegen Unstimmigkeiten zurückgezogen. Schon das Vorspiel lässt Franck mit den geteilten Streichern so geheimnisvoll dahinfließen, als ober er es schon viele Male dirigiert hätte. Fast schon derb geht es danach weiter, wenn die Dorfbewohner mit vielleicht dem Dorfältesten (König) auftritt. Szene und Musik sind perfekt aufeinander abgestimmt. Auch der von Thomas Lang einstudierte Chor kann auf dem Niveau mithalten.

Mit Klaus Florian Vogt, Wolfgang Koch und Camilla Nylund vertraut die Staatsoper auf Bayreuth- oder sonst international erfahrene Solisten in den zentralen Partien. Auch Günther Groissböck als König, Michaela Martens als Ortrud und Detlef Roth als Heerrufer zählen zu dieser Kategorie. Sie hielten am Premierenabend, was ihr Renommee erwarten liess, kämpften vielleicht zum Teil mit den Dimensionen des Raums und dem hohen Orchestergraben. Die Buhs für einige von ihnen waren auf jeden Fall ungerechtfertigt und sagten mehr über das Publikum als über die Qualität des Abends.

Vorstellungen bis 28. April in der Wiener Staatsoper, ab 21. September 2014 und im Juli 2015 in der koproduzierenden Zürcher Oper (bis auf Klaus Florian Vogt in neuer Besetzung) – www.wiener-staatsoper.at; www.opernhaus.ch
Bilder: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn