Die Frau die singt

REST DER WELT / LINZ / VERBRENNUNGEN

11/12/14 „Lerne lesen, lerne schreiben, lerne reden, lerne denken.“ Die Großmutter hat dies der jungen Frau mitgegeben auf ihren Lebensweg. Und das alles hat Nawal auch wirklich gelernt. Als erste Frau im Dorf hat sie den Namen aufs Grab der Großmutter zu schreiben gewusst...

Von Reinhard Kriechbaum

Die Tragik dieser Gestalt von geradezu sophokleischer Dimension: dass ihr das Lesen, Schreiben, Reden, Denken letztlich überhaupt nicht genutzt hat; das sie dann ausgerechnet dem Reden über sich selbst hat abschwören müssen.

Das Flüchtlings-Familiendrama „Incendies/Verbrennungen“ von dem frankokanadischen Autor Wajdi Mouawad war bald nach der Uraufführung 2003 auch auf deutschsprachigen Bühnen ein Renner. Die Verfilmung („Die Frau die singt“) vom kanadischen Regisseur Denis Villeneuve von 2010 hat es zu einer Nominierung für den Auslands-Oscar gebracht.

Leider verjährt der Stoff nicht. Ob der Libanon (den meint der dort gebürtige Autor) oder Syrien oder ein anderer (Bürger)Krieg irgendwo auf der Welt, der Migrationsströme auslöst und katastrophale Familienbiographien generiert und zugleich vergessen macht: Schicksalhafte Unerbittlichkeit ist zeitlos. Das wusste schon Sophokles, dessen Ödipus hier paraphrasiert wird.

Wajdi Mouawads Plot ist dann doch weder als Schauspiel noch als Film so bekannt, dass man vom Publikum die Kenntnis der Handlung im Voraus erwarten müsste. Das ist eine gute Option, die jetzt auch im Landestheater Linz der Regisseur Johannes von Matuschka nutzt. Auf der im ehemaligen großen Saal des Landestheaters nun eingerichteten Arena-Bühne (enorme Spielfläche vor radikal zurückgefahrenen Sitzplätzen) setzt er auf ein emotional kontrolliertes, simultanes Erzählen von Geschichten. Eine lange weiße Stoffbahn bedeckt die alte Nawal, ist Symbol für das Rätsel, das diese Frau umgeben hat, das sie selbst erkunden wollte und das endgültig zu lösen sie testamentarisch ihren Zwillingskindern überantwortet hat. Die beiden jungen Leute wussten nichts von der Existenz eines Vaters und schon gar nicht von der eines Bruders. Sie sind erst zu überzeugen von der Sinnhaftigkeit einer Spuren- und Personensuche vor Ort.

In der Arena-Situation suggeriert der Regisseur blitzschnell Schauplatzwechsel mit einem Fast-Nichts an Requisiten. Durch den weit gehenden Verzicht auf Versatzstücke (ein Kopftuch ist Orient genug) rückt die Geschichte aus den konkreten Orten. „Verbrennungen“ dieser Art können überall stattfinden. Auch der (sparsame) Einsatz choreographischer Mittel dient dazu, die Handlung nur ja nicht zu konkret zu verorten.

Umso konkreter, fassbarer müssen die Charaktere sein. Glücklich eine Landesbühne, die auf eine Darstellerin wie Katharina Hofmann als Nawal setzen kann. An die „Frau die singt“ werden sich die Überlebenden erinnern, und auch ihrem Peiniger wird die Stimme im Ohr bleiben. Hinter der zurück genommenen Tragödin bricht sich die Vitalität Bahn, immer wieder tollt sie als Mädchen herum. „Nicht den Zorn als Erbe überlassen“, hat ihr die Großmutter mitgegeben, und das beherzigt Nawal, auch wenn sie längst Opfer ist im Bürgerkrieg und guten Grund hätte für überbordenden Hass. Aber gerade dieser Urgrund an Überlebenslust wird sie noch tiefer verstricken in ein Schicksal, das Dimensionen der Unvorstellbarkeit annimmt.

Das Ensemble ist immer zugegen, man schlüpft in unterschiedliche Rollen und Verkleidungen. Dem Erzählen des Autors in schicksalshaften Antiken-Dimensionen setzt der Regisseur und setzen die Darsteller unprätentiöse Rollenbilder entgegen. Die Emotion schwappt nicht über, der Energiepegel des Fatums zermalmt nicht die Glaubwürdigkeit. Wir haben es in dieser Aufführung, die von ambitionierten schauspielerischen Leistungen im Kleinen und im Leisen getragen wird, immer mit Menschen zu tun.

Aufführungen bis 6. Februar in der Arena Schauspielhaus, Linz – www.landestheater-linz.at
Bilder: Landestheater Linz / Patrick Pfeiffer