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Der ferne und der sehr gegenwärtige Klang

REST DER WELT / GRAZ / DER FERNE KLANG

28/09/15 Die zwei Lebensentwürfe passen so ganz und gar nicht zusammen: Fritz, der Komponist, möchte dem „fernen Klang“, einem vage definierten künstlerischen Ideal, in der Fremde – und vor allem ungebunden – nachjagen. Grete würde ihm bedingungslos überallhin folgen, weil sie es nirgendwo schlechter treffen könnte als daheim, mit ihrem versoffenen Vater.

Von Reinhard Kriechbaum

Fritz macht sich auf und davon. Die allein Gelassene gerät als Kurtisane auf die schiefe Bahn. Drei Akte zu spät kommt die Erkenntnis, dass es ja doch etwas hätte werden können mit den beiden, wären sie es bloß beizeiten ernsthaft und mit Offenheit füreinander angegangen.

„Der ferne Klang“ ist eine klassische Musikgeschichtsbuch-Oper, auch wenn sie da und dort revitalisiert wird, so wie jetzt zum Saisonauftakt in Graz. Franz Schreker hat den Text selbst geschrieben, 1912, als Sigmund Freud taufrisch und halb verstanden in den Köpfen des Fin de siècle herum geisterte. Epik anstatt dramatischer Zuspitzung, viel Formulierungs-Banalität, dramaturgische Unbeholfenheit: Das Werk hat großen Erfolg gehabt, aber eben nur in der damaligen Zeitstimmung wirklich bestehen können.

Musikalisch ist's freilich ein aussagekräftiges Stück, zeigt es doch, wie offen die Situation damals war. Ein guter Schuss Impressionismus, harmonische Ausreizung bis zum Letzten. In Graz lässt der Dirigent Dirk Kaftan das Orchester voll aufdrehen. Natürlich kommen zwischendurch die feinsinnig-irisierenden Klänge, die raffiniert gesplitteten Geigen, die zarten Harfenglissandi und das geheimnisvolle Gebimmel heraus, aber viel öfter setzt Kaftan auf die pompöse Instrumentation, die dem Sängerensemble Kraftakte abverlangt, um auch nur einigermaßen akustisch drüber zu kommen. Viel spätromantischen Überschuss gibt es, dann schroffe musikalische Schnitte, und auch nicht wenige Drücker und Seufzer. Die stilistischen Brüche (oder sagen wir gerechter: die noch wenig definierten Optionen, wie es mit der Musik in dieser Nach-Wagner-Periode überhaupt weitergehen sollte) werden nicht kaschiert in Dirk Kaftans sehr eigenständiger Interpretation.

Das ist erhellend, aber die Sänger haben viel zu stemmen. Die Südafrikanerin Johanni van Oostrum als Grete bringt am meisten Persönlichkeit rüber und hat zurecht den meisten Premierenbeifall eingeheimst. Die ahnungslos-ergebene Geliebte nimmt man ihr ebenso ab wie die Edelnutte mit depressiven Anwandlungen. Mit Leuchtkraft setzt sie sich gegen die üppigste Konkurrenz aus dem Orchestergraben durch. So souverän ist der Tenor Daniel Kirch nicht, von dem man erstaunlich wenig Text versteht. Manch charismatischer Akzent im personenreichen Ensemble: etwa Markus Butter als zuletzt aufrichtig zerknirschter Dr. Vigelius und selbstbewusster Graf, der Grete partout für sich gewinnen möchte.

Als Schmierenschauspieler findet Ivan Oreščanin dankbare Szenen. Die epische Struktur des Stücks bietet auch den anderen kleinen Rollen lohnende Möglichkeiten.

 

Florentine Klepper hat, so scheint es zwischendurch, Angst bekommen von der szenischen Kargheit, die sie im ersten Akt verordnet hat. Schmale steile Treppen führen in einem imaginären, schmucklosen Haus vom Wirtshausraum, wo Gretas Vater stockbesoffen die Tochter beim Kegeln als Preis verschachert, hinauf bis auf eine Art Dachterrasse, wo Fritz an einer Art Campingtisch zu arbeiten versucht. Genug Möglichkeiten, aneinander vorbei zu gehen. Im Finale wird das krebsläufig nochmal durchgespielt. Den vielen langen Orchesterzwischenspielen hat die Regisseurin entschieden misstraut und motzt sie mit Videoproduktionen auf. Wirklich genaues Hinhören auf die Musik zeichnet ihre Regiearbeit nicht aus, eher ein Konglomerat an Ideen, das dann doch nicht über die Langstrecke trägt.

Da ist ja vor allem der heikle zweite Akt, ein Etablissement in Venedig, wo Franz Schreker ein Bündel von musikalischen Idiomen sich überlagern lässt: Eine Zigeunerkapelle, Chor- und Orchestergruppen sind in Logen und auf der Galerie verteilt. Toll, wie Dirk Kaftan das im Griff hat (so kühne Überlagerungen waren bis dahin nicht komponiert worden). Aber reichlich diffus, wie die Szene dazu arrangiert ist.

Eine gute Idee: Das „alte Weib“ (Dshamilja Kaiser) ist als Doppelgängerin hergerichtet, und auch Fritz findet (viel zu spät) sein Alter Ego in Gestalt des Freundes Rudolf (David McShane). Die problematische Begegnung eben im zweiten Akt, wo Fritz dramaturgisch wenig einleuchtend die Annäherung an Grete versucht und sich nicht gerade als Blitzgneisser hinsichtlich ihres beruflichen Betätigungsfelds entpuppt, rettet die Regisseurin: Da singt der verblendete Fritz die längste Zeit das imaginäre Alter Ego der Geliebten an. Er ist noch nicht so weit, der Wirklichkeit ins Auge zu sehen.

Aufführungen bis 1. November – www.oper-graz.com
Bilder: Grazer Oper / Werner Kmetitsch

 

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