Träume und Schäume

REST DER WELT / WIEN / TRI SESTRI

17/03/16 Mit „Tri Sestri“ von Peter Eötvös findet eine der erfolgreichsten zeitgenössischen Opern Platz im breiten Repertoire der Staatsoper. Die Premierenserie dirigiert der Komponist selbst.

Von Oliver Schneider

Zeitgenössisches Musiktheater hat es nicht nur in Wien schwer. Was bei der Kritik auf Zustimmung stösst, verstört einen Großteil der Zuschauer. Ist das Neue allzu gefällig, rümpfen die Kenner verächtlich die Nase. Peter Eötvös erfüllt mit seinen 1998 in Lyon uraufgeführten Tri Sestri (Drei Schwestern) nach Anton Tschechows Drama die Erwartungen von beiden Parteien. Schmerzerfüllende Dissonanzen stehen neben lautmalerischen sensiblen Klängen als Ausdruck der Resignation, dem Abschied von unerfüllten Träumen. Eötvös‘ Musik nimmt den Zuschauer mit in die Welt der drei in der Provinz versauernden Schwestern und lädt ihn gleichzeitig ein, in sein eigenes Ich hineinzuhören.

Ein Glücksfall ist, dass Peter Eötvös die Produktion in Wien selbst dirigiert und dem kleineren Orchester im Graben voransteht. Das größere Orchester ist hinter der Spielfläche erhöht auf der Bühne platziert und wird von Jonathan Stockhammer geleitet. Die Aufteilung des Orchesters in ein kleineres Kammerensemble mit erweitertem Schlagwerk und den die Familie der Schwestern charakterisierenden Holzbläsern und dem klassischen Sinfonieorchester im Hintergrund hat über weite Strecken eine sängerfreundliche Wirkung. Gespielt wird in Wien eine Mischfassung, in der die Schwestern von Frauen, die Schwägerin Natascha und die Amme Anfissa hingegen von Männern gesungen werden.

Eötvös hat die von Claus H. Henneberg erstellte Librettofassung der Tri Sestri in einen Prolog und drei Sequenzen dekonstruiert, in denen die gleiche „Handlung“ jeweils aus der Sicht einer der Schwestern – aus Irinas in der ersten und aus Maschas in der dritten Sequenz – und aus jener ihres Bruders Andrei erzählt wird. Unweigerlich wiederholen sich Momente. So zum Beispiel, wenn der ungeschickte Doktor (markant Norbert Ernst) eine alte Glasuhr aus Versehen zerbricht oder Andreis dominante Frau Natascha auf einem Laufband vorbeizieht. Überhaupt, das Laufband. Es steht für das verrinnende Leben, als Symbol für die Vergänglichkeit, für unerfüllte Träume und die ineinander übergehenden Spielorte, für die die Ausstatterin Esther Bialas einen schmucklosen Einheitsraum geschaffen hat, über dessen seitlichen Türen die Kerzen schon seit Jahrzehnten herabtropfen müssen. So lange Wachssäulen haben sich bereits gebildet.

Typisch russisch – wie das traurig einleitende Akkordeon – ist auch das Eröffnungsbild im Prolog. In weißen Kleidern schaukelnd, träumen die Schwestern in einer Rückblende von ihrer Zukunft: im fernen Moskau, von einem sinnerfüllten Berufsleben, von einer glücklichen Heirat. Regisseur Yurval Sharon vertraut aber nicht nur auf die leicht dechiffrierbaren Symbole in der Ausstattung, sondern hat in der Personenführung deutlich sichtbar mit den Protagonisten gearbeitet, was dem Zuschauer das Folgen der nicht-linear erzählten Handlung erleichtert.

Fast ausschließlich Ensemblemitglieder bestreiten den musikalisch und szenisch ausgewogenen Abend. Die drei Schwestern werden makellos und schlank gesungen von Aida Garifullina als Irina, der impulsiveren Margarita Gritskova als Mascha und Ilseyar Kharyullova als genügsamer, perspektivenloser Olga. Gabriel Bermúdez ist ihr Bruder Andrei, der längst alle Gedanken an die wissenschaftliche Laufbahn an der Universität aufgegeben hat und zum Loser geworden ist. Unterdrückt von seiner mondän aufgemachten und gerade deshalb provinziellen Natascha (kongenial der Counter Eric Jurenas). Die Tür zur „großen Welt“ öffnet in der Provinz – zumindest nach Meinung der Familie – das stationierte Militär. Aber in Wirklichkeit steht es für verkrustete Traditionen und veraltete Rollenklischees. Musikalisch sehr schön ist die Liebeserklärung Tusenbachs (Boaz Daniel) an Irina, der wie Clemens Unterreiner als eitler Verschinin mit kultiviertem Bariton gefällt. Das komische Element bringen Marcus Pelz als alte Amme Anfissa und Norbert Ernst als Doktor ein.

Letzte Vorstellung der Premierenserie morgen Freitag (18.3.) – www.wiener-staatsoper.at
Bilder: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn