Neue Orte, neue Horizonte

SOMMERSZENE / INTERVIEW / OHNE TITEL

19/06/17 ohnetitel - das 2007 gegründete Salzburger Netzwerk für Theater- und Kunstprojekte – ist ein Fixstarter im Programm der Sommerszene. Heuer präsentieren ohnetitel ihre aktuelle Produktion „Gärten von Gestern“: Gemeinsam mit dem Publikum werden auf dem Kommunalfriedhof „Techniken des Erinnerns“ entschlüsselt. Uraufführung ist am Mittwoch (21. 6.) bei der Sommerszene.

ohnetitel - das sind Thomas Beck, Dorit Ehlers, Sabine Jenichl und Arthur Zgubic - versteht sich als Netzwerk der verschiedenen Kunstformen und ihrer Akteure: Welche davon kommen in den ‚Gärten von Gestern‘ zum Einsatz, welche Schnittstellen wird es geben?
ohnetitel: Wir erarbeiten unser Material in kleineren Konstellationen, u. a. mit einer Gruppe vom SEAD, Studierenden vom Thomas-Bernhard-Institut, mit Theaterleuten oder Musikern. Am Ende fügen sich die einzelnen Puzzlesteine wie eine Komposition zusammen und auch die Akteure mischen sich untereinander. Der Friedhof soll für das Publikum sehr bildhaft und sinnlich erlebt werden, als klanglich-visuelle Komposition, die im inneren Kosmos weiterläuft.

In Euren Projekten werden immer wieder durch Interventionen Fragmente des Alltags gezeigt: In Eurem Projekt ‚Die Loge‘ am Hauptbahnhof für die Sommerszene 2015 konnte der Zuschauer das Geschehen aus der Vogelperspektive beobachten und gleichzeitig via Kopfhörer an kurzen Lebensmomenten der Vorbeigehenden teilnehmen. Was interessiert Euch am Ausschnitthaftem?
ohnetitel: Sehr viele unserer Projekte finden im öffentlichen Raum statt, an Plätzen, an denen Alltag stattfindet – manchmal wird ein ganzer Stadtteil zum Thema. Wir untersuchen sehr genau die innere Struktur, die Grammatik dieser Orte. Darauf entwickeln wir dann unsere künstlerische Arbeit und machen für ein Publikum den Ort sichtbar, entwerfen einen neuen Blick darauf. Ob Geschäftsgründungen oder eine Loge in luftiger Höhe. Uns geht es um die temporäre Konstruktion von Wirklichkeit und da ist Alltag als Material spannend.

Friedhöfe sind meist Orte am Rand einer Gemeinschaft, abgegrenzt vom Alltag und seinen Ritualen. Viele Eurer Projekte finden im belebten öffentlichen Raum statt: Wie kam die Idee, als Spielort einen Friedhof zu wählen?
ohnetitel: Friedhöfe sind so etwas wie Fußnoten zu einer Stadt. Sie sind stumme Erzähler und Flüsterer. Hier ist spannend: Legt man den Plan des Kommunalfriedhofs neben den von New York Manhattan, dann ergibt das eine verblüffende Ähnlichkeit. Der Raster, der über N.Y. gelegt ist, gliedert in selbiger Form den Friedhof. Der Friedhof als „unsichtbare Stadt“, mit unterirdischen Hotels, der Rhythmus des Flüchtigen, kurze Momente von Tagträumen oder Chimären des Alltags. Ein bildhafter Zugang, der uns sehr inspiriert hat zu einer Andersdeutung des Ortes und ihn vielleicht doch „tiefer“ zeichnet.

Die ersten Assoziationen zu Friedhof und Begräbnissen sind in unserer Kultur meist Trauer, Verlust, Abschied, Schmerz. Und vor allem Stille, während in anderen Kulturkreisen Feste gefeiert werden. Was sind Eure Assoziationen?
ohnetitel: Erinnerung ist ein siamesischer Zwilling der Zeit. Wir brauchen Erinnerung zur Konstruktion unserer Identität – übrigens nicht umsonst sind die beunruhigenden Themen des Altwerdens Demenz oder Alzheimer, also das Verschwinden des Ich. Die Kunst ist voll mit gewaltigen Epen zur Erinnerung – von Proust bis Joyce. Wir beschränken uns auf zwei Phänomene: Das Paradoxon, dass mit jedem Erinnern an ein Ereignis oder an eine Person, diese etwas mehr verschwinden, abrücken, blasser werden. Mit jedem Erinnern überschreiben wir den Gegenstand neu, verändern ihn. Wir wollen gerne was behalten, ein Bild der Zeit einreißen, aber in dem Moment entgleitet es auch schon wieder. Immer verbunden mit der Erinnerung ist eben die Zeit. Daraus entwickeln wir das Konzept, das uns zu den Techniken des Erinnerns führt.

Ein Friedhof ist ja eine Art verbindende Bruchlinie zwischen Erinnern und Vergessen: Wie geht Ihr künstlerisch darauf ein?
ohnetitel: Wir arbeiten mit wiederkehrenden Elementen, die sich immer wieder selbst überschreiben, sei es im Wort, in Bildern oder mit Klang. Auch das Schemenhafte taucht auf, Bilder, die sich nicht greifen lassen oder ein verfremdetes Detail in sich tragen – eine kleine Verbeugung vor der Kreativität der Erinnerung. Weiters interessiert uns die Aufteilung der „Erinnerungstechniken“ in individuelle und kollektive Formen. Gerade dazu bietet sich der Friedhof als beispielhafter Boden an: wir gehen auf den Friedhof, um unserer persönlichen Erinnerung Raum zu geben, oder versammeln uns als Gruppe, um gemeinsam Halt zu finden. Gleichzeitig, und das interessiert uns wieder mit Blick auf die Architektur des Ortes, trägt der Kommunalfriedhof viele Landschaften (oder „Stadtteile“ in sich), die andere Bezüge des Lebens mitbringen, den Park, den Garten, das Eigenheim oder den Blick auf den Berg. (Sommerszene)

Die Sommerszene 2017 wird am Dienstag (20.6.) eröffnet mit der legendären französischen Tänzerin und Choreografin Louise Lecavalier und ihrem neuen Stück Battleground.
Gärten von Gestern. Techniken des Erinnerns - Premiere Mittwoch (21.6.) um 17 Uhr am Kommunalfriedhof - weitere Aufführungen 22., 24. und 25. Juni um 17 Uhr und/oder 19 Uhr bei jedem Wetter - www.szene-salzburg.net
Bild: Sommerszene