Sch… auf den siebten Juni

SOMMERSZENE / 21 PORNOGRAFIES

08/06/18 Das kleine Urin-Pfützchen auf der Bühne im republic hat eher Mitleid als Ekel erregt. Ein kleines Pelzchen anstelle eines unteren Bikini-Triangels irritiert wenig. Fäkalien in der Suppenschüssel kommen zum Glück nur in der Erzählung vor… Mette Ingvartsen hat bei der Sommerszene am Donnerstag (7.6.) im Republic mit ihren „21 pornographies“ gelangweilt – aber auch zum Nachdenken angeregt. Nämlich über das Datum.

Von Heidemarie Klabacher

Denn es ist der 7. Juni in der Kunstgeschichte, zumindest der Österreichischen, tatsächlich ein Datum von historischer Bedeutung. Hat Mette Invgartsen in heilloser Überschätzung ihrer darstellerischen und künstlerischen Präsenz sich den Termin ausgesucht? Oder war er doch eher dem Zufall der Tournee-Karussell-Industrie geschuldet? Am 7. Juni 1968 jedenfalls fand im Hörsaal 1 der Universität Wien die legendäre „Uniferkelei“ statt.

Auch wenn die Schreibern, weil damals gerade mal drei Jahre alt, nicht dabei gewesen ist, weiß auch sie vieles darüber: Weil es eben neben Skandal- und Kriminal-, auch Kunstgeschichte ist, wie Günter Brus, Otto Mühl und Peter Weibel auf dem Katheder im Hörsaal 1 diverse „Geschäfte“ verrichteten, während daneben Oswald Wiener über Kybernetik sprach. Fünfhundert Studenten (damals waren es wirklich noch Studenten und keine Studierenden) haben wahrscheinlich verblüfft mehr zu-geschaut, als zu-gehört.

Dass Wiener, der Anführer der „Aktion Kunst und Revolution“, seine Mit-Performer ebenso hereingelegt hat, wie das Auditorium, und gar nicht „Kunst“, sondern von Haus aus „Skandal“ machen wollte, ist heute ebenso bekannt, wie die strafrechtlichen Folgen für die Beteiligten. Eine ebenso sachliche wie informierte „Einschätzung“ des Happenings liefert Matthias Dusini im aktuellen Falter (23/18) im Text „Die Bewegung 7. Juni“. Zitat daraus: „Mit heutigen Augen betrachtet, fällt der Chauvinismus dieser Totalrhetorik unangenehm auf. Die symbolische Gewalt richtete sich nicht nur gegen den Staat, sondern auch gegen die Schwächeren in der Gruppe. Die destruktiven Allmachtfantasien setzten ein phallisch aufgepumptes Subjekt ohne spürbare soziale Regungen voraus. In den Aktionen wurden Frauen zum Material degradiert, und es ist kein Zufall, dass keine einzige Künstlerin an dem berühmten Happening teilnahm.“

Dass Künstler von der schon damals boulevardisierten veröffentlichen Meinung zu Narren und Staatsfeinden erklärt wurden, bewirkte - ein wenig verkürzt gesagt - Trotz und Widerstand. Und das ist gut und notwendig. Heute noch viel mehr, als in den seligen 1968erjahren, in denen die Ex-Nazis noch bekannt waren, während 2018 längst nicht mehr klar ist, wo die Neurechtsextremen noch überall aufpoppen werden, wie die Springteufel aus der Schachtel.

Auch für Ingvarstens Performance (mit viel erzählten Exkrementen und Urin) gilt, was im Falter steht: „…die destruktiven Allmachtfantasien setzten ein phallisch aufgepumptes Subjekt ohne spürbare soziale Regungen voraus…“ Der Feind ist also auch nach fünfzig Jahren noch immer derselbe: Was von der Legitimität, ja Notwenigkeit, rührender Provokationsversuche wie der Ingvartsen’schen zeugt. Leider ist auch die künstlerische Munition dagegen die gleiche geblieben.

Marquis de Sade (auch im Original vor allem langweilig) haben alle Gebildeten gelesen. Und wenn man ausgerechnet am „Tag des 7. Juni“ mit akribischer Schilderung von Exkrementen in Suppenschüsseln, missbrauchten Kindern und auf Folteropfer pissenden Soldaten – bei nackter Performerin, die sich gelegentlich in schüttelnde Bewegung versetzt – gerade einmal höflichen Applaus erntet… Dann fragt man sich, ob da nicht ein Konzept zu überdenken wäre.

Sommerszene - bis 16. Juni - www.szene-salzburg.net