Unerklärt und rätselhaft

SOMMERSZENE / ohnetitel / DIE SPÄTE DER STUNDE

19/06/19 Fitness-Studio. Eine Frau im Tutu macht Ballett auf dem Laufband. Immer wieder gleitet sie herunter und immer noch schneller stellt sie das Band. Nur um zu erfahren, dass sie beim nächsten Mal mehr herunterfällt als gleitet... Die Gäste verlassen den Raum, während die Frau sich weiter abarbeitet, ohne vom Fleck zu kommen. Metapher auf das Leben?

Von Clemens Kainz

Das originelle Kunstprojekt Die Späte der Stunde vom Salzburger Künstlerkkollektiv ohnetitel führt an unterschiedlichste Orte in der Stadt Salzburg. Die performativen Darbietungen folgen, so wird behauptet, einzlenen Episoden von James Joyces Roman Ulysses. Ziel von ohnetitel: Das Publikum möge die Stadt Salzburg auf facettenreiche Art und Weise neu entdecken. Gelegenheit dafür gibt es genug, denn die Odysse durch Salzburg findet (außer am 23. Juni) bis 29. Juni an jedem Spieltag der SommerSzene ein Mal statt. Die Produktion ist also nicht weniger als das Herzstück des Festivals.

Am Dienstag (18.6.) wurden Episode 5 bis 8 der homerischen Reise behandelt und auf vier Örtlichkeiten Salzburgs übertragen. Mit einem Bus wurde man ins Ungewisse gefahren, die Odyssee nahm ihren Lauf. An vier Stationen machte der Bus halt, die Teilnehmer stiegen aus, um sich erwartungsvoll und gleichzeitig zögerlich - fast vorsichtig - den unbekannten Geschehnissen zu nähern.
Als großer Pluspunkt des Abends kann der Verzicht auf Erklärungen genannt werden, da man mit sanfter Leitung die Orte selbst erkunden und Eindrücke sammeln konnte. Die Distanz zwischen bloßem Zusehen und dem tatsächlichen Erleben schmolz, man war gleichzeitig Eindringling und Ehrengast, was atmosphärisch anregende Stimmungsbilder bewirkte.

Ob es nun eine kahle, im Umbau begriffene Wohnung war, der Raum eines Fitnessstudios, in dem man Zeuge einer Ballettszene wurde, ein Kindergarten, in dem die Wasserversorgung Salzburgs thematisiert wurde oder der Campingplatz in Aigen, in dem man lernte, dass Unkraut eigentlich Wildkraut heißen sollte: Überall gab es interessante Szenerien, die das alltägliche Erleben von Salzburg auf den Kopf stellten, und eine Vielzahl an Metaphoriken, die sowohl in den Kunstperformanzen der Akteure als auch in der aufbereiteten Umgebung zu entdecken waren.

Müßig wäre es, die Geschehnisse pragmatisch interpretieren zu wollen. ohnetitel legen es vielmehr darauf an, ein vielschichtiges Bild zu kreieren und verschiedenste Assoziationen zu erwecken, die wohl jeder anders empfinden mochte.

Kahle, im Umbau begriffene Räume, Kabel hängen aus Wänden.Zwanzig Jugendliche betreten den Raum. Sie ignorieren geflissentlich die Teilnehmer, bilden Grüppchen zu je drei Personen, beginnen zu reden. Diskutieren sie? Quatschen sie? Zögerlich hört man zu, fühlt sich in der Privatsphäre der Jugendlichen als Eindringling, möchte aber erhaschen, worum es geht. Immer wieder rufen alle, von einem der Jugendlichen initiiert, im Chor: „Mit 15 wusste ich bereits, dass ich Immobilienmakler werden möchte.“

Nur ein weiteres Beispiel für die vielen Momente, originell und irritierend, skurril und verwirrend, unerklärt und rätselhaft. Der große Pluspunkt des Abends, das Fehlen von Erklärungen, führte leider auch dazu, dass nicht ersichtlich wurde, inwieweit der Bezug zur Odyssee oder auch zu Ulysses gegeben war. Den einzelnen Performanzen tat dies aber keinen Abbruch.

Nach den vier Orten entließ der Busfahrer die Teilnehmer am Mönchsberg beim Museum der Moderne, was ein gelungenes Ende dieses Abschnitts der Odyssee darstellte, da der weitläufige Blick auf die Dächer Salzburgs das Gefühl vermittelte, als wäre der Irrweg noch lange nicht zu Ende und als stünden alle Wege offen, um neuen Geheimnissen der Stadt auf die Spur zu kommen.

Die späte der Stunde – weitere Termine bei der SommerSzene bis 29. Juni - Das  - www.szene-salzburg.net
Bilder: SommerSzene/Bernhard Müller