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Ein Strauss-Kahn der Opernbühne

FESTSPIELE / FIGARO

28/07/11 Seit dem Mozartjahr 2006 arbeitet Regisseur Claus Guth für die Festspiele an Mozarts Da-Ponte-Opern. Heuer stehen Le Nozze di Figaro, Don Giovanni und Così fan tutte als Zyklus mit verschiedenen Orchestern und Dirigenten im Haus für Mozart auf dem Programm. Die Premiere des neu einstudierten „Figaro“ mit dem „Orchestra of the Age of Enlightenment“ unter Robin Ticciati war ein beglückend überwältigendes Opernerlebnis.

Von Heidemarie Klabacher

altDer „Vorhang“ hebt sich. Man weiß, was zum Vorschein kommen wird und blickt dennoch mit angehaltenem Atem in den weiß getäfelten - verzweifelt leeren - Seelen-Raum. Das Stiegenhaus der herrschaftlichen Villa kennt man inzwischen auch ganz gut, samt der Kopf stehenden Treppe frei nach C.M. Escher im letzten Akt.

Dennoch ist dieser „Figaro“ aufregend neu.

Den Weg von der frechen Komödie hin zum poetischen Seelendrama hat Claus Guth ja schon lange vor seinem ersten "Anlauf" 2006 zurückgelegt. In der Neueinstudierung - mit allen drei Mozart/da Ponte-Opern im Blick - wirken die Personen und deren Beziehungen zueinander wie mit dem Skalpell gezogen. Ins lebendige Fleisch geschnitten, sozusagen.

Der muntere Page Cherubino wird von Figaro und dem Grafen nicht nur in Uniform gesteckt und zum Regiment abkommandiert, damit er dem gnädigen Herren bei seinen Amouren nicht länger in die Quere kommt. Er wird regelrecht misshandelt und gedemütigt. Barbarina meint nicht nur die berühmte „Nadel“, mit der das Brieflein an den Grafen versiegelt war, wenn sie ebenfalls misshandelt und missbraucht die Treppe herunterwankt und singt „Ich habe sie verloren…“

altDen erotischen Begegnungen aller mit allen - auch der Frauen untereinander, was in herkömmlichen Inszenierungen gar nicht so auffällt - eignen Tiefe und Intensität, die weit über spielerischen Flirt oder coolen One-Night-Stand hinausweisen.

Wer alle drei Guth’schen Figaro-Fassungen bisher gesehen hat, wird die Nuancen schätzen und die fein heraus gearbeiteten Details genießen. Der stumme Cherub (Uli Kirsch, der geflügelte Spielleiter) rupft sich eine schreibfähige Feder aus dem Flügel, just in dem Augenblick, in dem Susanna das Briefdiktat der Gräfin aufnimmt und die „Canzonetta über die Luft“ zu schreiben beginnt. Oder Bartolo. „Si troverà“ singt alter: Sie wird sich finden lassen, die rechtliche „Hintertüre“, um Figaro hereinzulegen. Dass er gerade in diesem Augenblick in den über den Boden verstreuten Akten das richtige Blatt findet, ist auch nur eines der Details, die den ganzen Abend hindurch staunen und - je nach dem - lachen oder weinen machen.

Das Wichtigste freilich: All das passiert auf einem Atem mit der Musik. Jeder Bewegung der grandiosen Sängerinnen und Sänger scheint nicht nur eine Regie sondern auch eine Choreographie Claus Guths zu Grunde zu liegen.

Dirigent Robin Ticciati findet für jede Emotion, für jede Bewegung das richtige Tempo, die richtige Lautstärke. Mitreißend, dynamisch - ohne die Sänger zu überfahren oder zum Forcieren zu zwingen, entwickelt er von der Ouvertüre an einen Sog, der dem Geschehen Richtung und Ziel gibt. Anfangs hat es ein wenig gedauert, bis die Geigen des Originalklang-Ensembles „Orchestra of the Age of Enlightenment“ Fülle und Klang entwickelt haben, gegen Ende hatten die Bläser da und dort Intonationsprobleme.

Genia Kühmeier ist die Gräfin. Besser gesagt: DIE Gräfin. Bewegender, schöner, strahlender im Klang, ausbalancierter in den Lagen hat man die großen Arien „Porgi, amor“ und „Dove sono“ noch nicht gehört. Den Ensembles setzt Genia Kühmeier Glanzlichter auf. Das Duettino in der Briefszene mit Susanna - überirdisch schön. Genia Kühmeier erinnert an legendäre Gräfinnen (Stichwort „Mozart-Ensemble“) und gibt zugleich eine Frau von Heute.

altSimon Keenlyside ist ein ausgewachsener Widerling von einem Grafen, der sich nach jeder versehentlichen Berührung mit Untergebenen die Hände am Taschentuch abwischt und mit Charme oder Gewalt (die Unterschiede sind nur graduell) an allem vergreift, was weiblich ist. Ein Strauss-Kahn der Opernbühne. Die Stimme Simon Keenlysides ist beweglich, alert, brillant geführt - von wahrhaft verführerischem Schmelz.

Marlis Petersen ist stimmlich und darstellerisch der Glücksfall einer Susanna. Erwin Schrott als Figaro fällt mit oft beinahe mehr gesprochenen als gesungenen Passagen in den Rezitativen auf, gibt den selbstbewussten Komödianten (ihn scheint der Regisseur am wenigsten unter „Kontrolle“ zu haben), übertreibt aber nicht - und singt brillant. Hinreißend ist Katija Dragojevic als Cherubino. Marie McLaughlin als Marcellina, Franz-Josef Selig als Bartolo, Malin Christensson als Barbarina, Oliver Ringelhahn als Don Curzio, Adam Plachetka als Antonio: Bis in die kleineren Rollen ist dieser Figaro mit hochkarätigen Sängerinnen und Sängern rollen- und typengerecht besetzt. Ein grandioser ebenso denk- wie festspielwürdiger Festspielauftakt.

Eine Aufzeichnung der Oper wird vom ORF am Samstag (30.7.) um 19.30 Uhr im Programm Ö1 gesendet.
Bilder: SFS/Monika Rittershaus

 

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