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Manche Trän’ aus meinen Augen

FESTSPIELE / LIEDERABEND KEENLYSIDE, AIMARD

23/08/11 Ein „Star-Pianist“ statt eines „Begleiters“ am Klavier - das kann auch gegen den Sänger ausgehen, affektierte Phrasierung im Klavierpart ihm etwa den gewohnten Atem rauben. Ein Star-Pianist kann einer Sänger-Sternstunde aber auch Glanzlichter aufsetzen. Wie Pierre-Laurent Aimard der „Winterreise“ Simon Keenlysides.

Von Heidemarie Klabacher

altSimon Keenlyside, der an Stelle des erkrankten Thomas Quasthoff die Winterreise im Großen Festspielhaus gesungen hat, scheint sich dem Zyklus zunächst einmal ganz über die Technik zu nähern. An der Wortdeutlichkeit des englischen Baritons könnten sich viele Muttersprachler seiner Zunft ein Beispiel nehmen. Selten ein einzelner Vokal, der „fremd“ abgedunkelt oder zu lang betont wird. Das Wort „Wolke“ im Lied  Nr. 12 „Einsamkeit“ ist auch ihm nicht gelungen, aber „Walke“ hat er keine draus gemacht.

Ein Gestaltungselement sind für Simon Keenlyside bewusst von einander abgesetzte leicht akzentuierte Worte oder Silben in einer letzten Liedphrase, oft der Wiederholung: Das dient ebenfalls der Wortdeutlichkeit, gibt vor allem aber den Aussagen einen zusätzlichen Touch von Endgültigkeit und Ausweglosigkeit. Erschütterung ganz nebenbei.

Hohe oder tiefe Lage, verhauchendes Piano oder expressives Forte: Simon Keenlyside gestaltet seine Töne von einem einzigen Stimmsitz aus, mit perfektem Register- und Vokalausgleich über alle Lagen. Beispiel: die Sprünge im Lied Nr. 17 „Im Dorfe“. Das verstärkt zusätzlich die Sogwirkung der reich timbrierten Baritonstimme. So hoch kann ein Ton gar nicht liegen, dass Simon Keenlyside gezwungen wäre, ihn von unten anzusteuern. Auch der höchste Ton einer ohnehin hohen Phrase - etwa „ward mancher Kopf zum Greise“ im Lied  Nr. 14 - wird spielerisch leicht von oben aufgesetzt. Faszinierend.

Dazu kommt ein ganz eigener Zugang zu vielen Liedern: ein so duftig schwebendes „Irrlicht“ (Lied Nr. 9), eine so sanfte „Krähe“ (Lied Nr. 15) haben noch selten versucht den Sänger auf Abwege zu locken oder seinen Leib „als Beute hier zu fassen“.

Begleitet wurde Simon Keenlyside von Pierre-Laurent Aimard, der Klavier-Sterne über der Gesangs-Sternstunde aufleuchten ließ: klangfarben- und obertonreich, ganz dem Sänger dienend und doch einen eigenen Kosmos öffnend.

Vom „greisen Kopf“ war schon die Rede: Aimard schien mit dem liegen gelassenen höchsten Ton unter der Phrase „Der Reif hat einen weißen Schein mir übers Haar gestreuet“ das Eis tatsächlich sichtbar zu machen. Am Ende des Liedes Nr. 20 „Der Wegweiser“ schien mit dem Ziel auf Erden auch jede Farbe aus dem Klavierklang gewichen zu sein.

Bild: SFS/Wolfgang Lienbacher

 

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