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Rennen, Reiten, Tanzen, Springen

BUCHBESPRECHUNG / SCHELLER, SCHLEICHER, MAIBAUMKRAXLER

02/03/12 „Grad glaffa werd!“ So könnte man die noch heute lebendig erhaltenen Bräuche Österreichs bewundernd kurz umschreiben. Eine derartige Aktivität ist in ihnen zu spüren, dass es eigentlich erstaunt, je von einem stubenhockerischen, faden, missmutigen und faulen Menschen gehört zu haben, der die Alpenrepublik bewohnt.

Von Hans Gärtner

„Grad glaffa werd!“ will heißen: Die Bräuche hier haben duchweg etwas mit Bewegung zu tun. Reinhard Kriechbaum hat seinem Buch über Weihnachtsbräuche nun ein solches über Bräuche von Maria Lichtmess bis zur Sommersonnenwende, also in der ersten Jahreshälfte folgen lassen: „Scheller, Schleicher, Maibaumkraxler“ heißt es. Im tirolischen Nassereith muss der „Scheller“ so behänd, turnerisch und geschickt im „Schönen Zug“ durch den Ort schreiten, dass die Klöppel seiner vier Schellen beidseitig anschlagen, oben und unten. „Flitterwerk und Bänder, Spitzen, Kopfkronen mit Blumen und Hahnen- und Pfauenfedern, Pumphosen und Röcke – Scheller und Roller geben ein tolles Bild ab. Und dann natürlich die Holzlarven …“

Die einzelnen Landschaften Österreichs, des wohl intaktesten Brauchtumslandes Europas, scheinen sich, was den auffälligen Aktionismus angeht, einig zu sein: Nur der Tätige erreicht etwas im Leben. Nur der, der seine Geistes- und vor allem Körperkräfte einsetzt, der nicht rastet und raunzt, sondern  sich aufmacht, wandert und wendig ist, in Gemeinschaft lärmt und lustig ist, umherzieht und scheibenschlägt, der die Fackeln lodern, die Funken sprühen lässt und, als Kraftlackel, meterlange Stangen und Kerzen stemmt, wird sich durchsetzen. Also wird gerannt und gelaufen, geritten und gekraxelt, auf Prozessionen gegangen und Passion gespielt, getanzt und gesprungen, geschnalzt und getrommelt.

Es geht um Bräuche aus allen Bundesländern. Salzburg allein gibt schon viel her: Da sind – eine Auswahl nur – etwa die im Fasching situierten, eigentümlichen Bräuche der „Vereinigten“ in Tamsweg. In Puch führt man am Palmsonntag eine Figur (Christus auf dem Esel) durch den Ort. In Großarl pflegt man noch das Ölbergsingen (am Gründonnerstag). Im Tennengau vor allem liebt man die Heiligen Gräber. Legendär sind die Osterfeuer im Lungau, wo man auch intensiv die Ratschen dreht und am Ostermontag mit dem „Gonselauf“ einen Brauch ausübt, der früher einmal so etwas war wie eine „Partnerbörse“. Die Samson-Umzüge sind ebenfalls ein Charakteristikum im Lungau. Die Prangstangen dürfen natürlich nicht fehlen, sie sehen im Pongau ganz anders aus als im Lungau. In Oberndorf setzen die „Himmelbrotschutzen“ Hostien auf der Salzach aus. Und einige Wochen später, um die Sommersonnenwende, verbrennt man dort den „Sunnawendhansl“.

Die Nähe zum Theater, zum Schau-Spiel ist bei den meisten gemeinschaftbildenden Bräuchen in Österreich eklatant. Die stillen, die „sittsamen“ Sitten gehören denn auch eher in den Advents- und  Weihnachtskreis. Abgesehen natürlich von denen, die mit dem Leiden und dem Tod Christi am Kreuz zu tun haben. Da wird still am Grab des Herrn gewacht, da trägt man, Kinder wie Erwachsene,  gemessenen Schrittes das Speisenkörberl mit „Weichfleisch“ und „angepeckten“ Eiern zum Segnen in die Kirche, da wird mit Vorsicht das Osterfeuer aus der Karsamstagsliturgie heimgetragen – auch wenn, etwa im Südburgenland und in Kärnten, schon bald darauf wieder das „Milchkannen-Donnern“ als Salut zur Auferstehung Christi für Getöse sorgt. Weit verbreitet sei der Brauch des Osterschießens, weiß Kriechbaum: „Schützen- und Prangerstutzen-Kompanien … haben ihre eigenen Gepflogenheiten…“

So „eigen“ sind sie gar nicht, diese Gepflogenheiten. Auch in Bayern sind sie daheim, wenn auch anders benannt und ausgeprägt, aber im Akzent gleichen sie sich, die noch immer lebendigen Bräuche. Sie verbinden gerade die Alpenländer miteinander auf eine schöne Art. Mögen Glaubensinhalte sich abwandeln, mögen da und dort nur mehr Glaubensreste vorhanden sein, mögen Anlässe (wie etwa die Angst vor der Pestilenz) nichtig oder zumindest zweitrangig  geworden sein: Im Volk lebt ein von vielen Touristen zunehmend gern miterlebtes Gemeinschaftsverhalten, das Barockes mit Banalem, Grobschlächtiges mit Gutmeinendem verbindet.

Kaum ein in Österreich (und in den angrenzenden Ländern) noch lebendig erhaltener Brauch, der nicht in diesem Buch erfasst und beschrieben, mit Fotos belegt, mit Hinweisen zum Wo und Wann und Warum versehen wird. Erstaunlich, dass einige Bräuche Österreichs den Gefallen der UNESCO gefunden haben. In Salzburg zum Beispiel die „Vereinigten“ in Tamsweg, aber auch die Schützenvereine und der Lungauer Samson. Nicht zu vergessen auch auf dasd Weihnachtslied „Stille Nacht“. Wär schön, wenn solche Werke wie dieses von Reinhard Kriechbaum auf eine UNESCO-Liste wichtiger kulturtragender Bücher kämen. Doch diese Liste müsste erst erfunden werden.

Reinhard Kriechbaum: Scheller, Schleicher, Maibaumkraxler. Bräuche in Österreich: Fasching, Ostern, Frühling. Verlag Anton Pustet, Salzburg 201. 220 Seiten, 24 Euro. 
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