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Beklemmend und befreiend

BUCHBESPRECHUNG / BUCHRAUB IN SALZBURG

25/10/12 Provenienzforschung und Restitution kommen vor allem in Zusammenhang mit berühmten Gemälden in die Zeitung. Erst voriges Jahr hat das Museum der Moderne Mönchsberg seine einzige Klimt-Landschaft - „Litzlberg am Attersee“ - der rechtmäßigen Besitzerin zurückgegeben. Aber die Nazis haben nicht nur Bilder geraubt, sondern auch Bücher.

Von Heidemarie Klabacher

Gibt es auch in den Bücherspeichern in den Kellergeschossen der Universitätsbibliothek in der Hofstallgasse Bücher, die von den Nazis gestohlen wurden? Das war die Ausgangsfrage:  Die Universitätsbibliothek Salzburg hat daraufhin ihre Bestände im Rahmen eines Forschungsprojekts auf NS-Raubgut durchforstet.

Wie findet man heraus, wem ein von siebzig Jahren gestohlenes Buch gehört hat? Wer waren diese ursprünglichen Besitzer? Was ist aus ihnen geworden? Welche Rolle spielte die „Studienbibliothek“, die Vorgängerin der Universitätsbibliothek, in der Zeit des Nationalsozialismus? Was passierte nach Kriegsende? Das waren einige der Fragen, die sich das Forscherteam um Ursula Schachl-Raber, die Leiterin der Universitätsbibliothek Salzburg, gestellt hat. Viele Antworten liegen inzwischen vor - im Band „Buchraub in Salzburg. Bibliotheks- und NS-Provenienzforschung an der Universitätsbibliothek Salzburg“.

Insgesamt 12.828 Bände hat die Studienbibliothek zwischen 1933 und 1945 erworben, liest man im Kapitel „Buchautopsie und viele Zahlen“. Das wären gar nicht so furchtbar viele Bücher. Aber die Autorinnen betonen: „Die Möglichkeit, unwissentlich ein Buch zu erwerben, das zwischen 1933 und 1945 in Deutschland, Österreich oder einem vom ‚Dritten Reich’ okkupierten Land geraubt wurde, besteht bis heute, denn die Bibliothek kennt oft nur das letzte Glied einer längeren Provenienzkette.“

Und die Wege von Büchern sind oft noch viel verschlungener: „Geraubte Bücher können nämlich sowohl während der NS-Zeit als auch nach 1945 in die UB Salzburg gelangt sein, etwa über den antiquarischen Buchhandel, über Nachlässe oder Schenkungen.“

Daher versuchte man, „in detektivischer Kleinarbeit“ auch jenes Raubgut aufzuspüren, „das über verschiedenste Kanäle oft Jahrzehnte später noch in die Regale der Bibliothek gelangt ist“, so die Herausgeber. 240.000 Bücher sind dafür aus den Regalen geholt und penibel nach Besitzspuren durchsucht worden. Raubgut sollte entdeckt und nach Möglichkeit den rechtmäßigen Besitzern oder deren Erben zurückgegeben werden.

Beispiel gefällig? Die UB Salzburg bekam im Jahr 2010 eine Ausgabe des ersten Bandes von Robert R. v. Neumann-Ettenreichs und Alfred Blochs „Beispiele von Schriftsätzen im Zivilprozess- und Exekutionsverfahren“ als Geschenk von der Familie des verstorbenen Camillo Zamorsky. In dem Buch finden sich außer dem handschriftlichen Eintrag „Zamorsky Wien 13.II.46“ auch zwei Stempel. Während einer davon von Dr. Camillo Zamorsky stammt, lautet der zweite Stempel auf den Rechtsanwalt Dr. Max Gelber. Camillo Zamorsky ist weder unrechtmäßig an das Buch gekommen noch wurde es ihm geraubt, da er es – wie der Eintrag zeigt – erst 1946 höchstwahrscheinlich antiquarisch gekauft hat. Daher richtet sich der Fokus auf den Vorbesitzer Max Gelber und dessen Sohn Valentin.

Valentin Gelber, geboren am 16. Juli 1903 in Wien, war der Sohn des am 13. September 1872 in der Bukowina geborenen und am 3. März 1942 in Chelmno ermordeten Rechtsanwaltes Max Gelber. Vater und Sohn führten gemeinsam eine Rechtsanwaltskanzlei… Es folgt eine akribische Biografie von Valentin Gelber, der bereits 1938 zunächst nach Dachau und bald darauf nach Buchenwald verschleppt  wurde – wo er 1941 Marko Feingold kennen gelernt hatte. Gelber kam nach der Befreiung durch die Amerikaner zurück nach Salzburg – und erlebte eine ganz ähnliche Geschichte, wie der Held in Ursula Krechels (erst jüngst mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten) Roman „Landgericht“: Die Eintragung als Rechtanwalt wurde ihm verweigert…

Das ist nur einer der zahlreichen, aus dem öffentlichen Bewusstsein perfekt verdrängten erschütternden Lebensläufe, die das Autorinnenteam in „Buchraub“ nachzeichnet: Ein später Versuch und umso verdienstvollerer Versuch, einem Menschen sein Recht zumindest im Nachhinein zuzusprechen.

Die Nazis selbst, waren sich nicht immer einig darüber, was mit den gestohlenen Büchern passieren, wer aus dem geraubten Gut den größten Nutzen ziehen sollte: ein Beispiel dafür ist etwa der Umgang mit der theaterwissenschaftlichen Bibliothek, die Max Reinhardt und Helene Thieming in Schloss Leopoldskron aufgebaut hatten. Tatsächlich ging es bei der detektivischen Kleinarbeit des Forscherinnenteams nicht um "wertvolle" Bücher, bibliophile Kostarkeiten, Frühdrucke oder Handschriften - sondern um "gewöhnliche" Bücher. Das macht die Initiative beinahe noch verdienstvoller. 

„Zwischen erzwungener Anpassung und offener Kooperation. Die Studienbibliothek Salzburg im Nationalsozialismus“ von von Andreas Schmoller oder „Nationalsozialistisches Erbe und Neubeginn. Die Studienbibliothek Salzburg 1945–1950“ von Monika Eichinger sind Kapitel im ersten Teil „Bibliotheksgeschichte(n)“. Kapitel im zweiten Teil – „Provenzienzforschung“ - sind etwa „Buchraub in Salzburger Bibliotheken 1938–1945. Schloss Leopoldskron, Borromäum, Konradinum Eugendorf, Benediktinerstifte St. Peter und Michaelbeuern“ von Irmgard Lahner und Andreas Schmoller oder „Spurensuche. Problematische Erwerbungen der UB Salzburg von 1945 bis in die Gegenwart“ von Monika Eichinger und Ute Palmetshofer.

Der knallrote Band mit dem bedrohlich aus dem rechten unteren Eck herausragenden Nazi-Sigel „Buchraub in Salzburg“ ist im Verlag Müry-Salzmann erschienen. Präzise Angaben über Vorgehensweisen und Recherchestrategien machen die wissenschaftliche Dokumentation nicht ganz leicht lesbar. Tatsächlich ist die Lektüre immer wieder herausfordernd. Zahlreiche Abbildungen und Bilder vertiefen den Eindruck und lockern den Text auf. Die unzähligen Fußnoten, von denen jede einzelne beinahe wieder ein eigenes Kaptitel eröffnet, machen es dem Leser wiederum nicht leichter. Kein Buch für den Teetisch also. Aber inhaltlich ist „Buchraub in Salzburg“ spannend wie ein Krimi. Eine besondere Salisburgensie: eine kritische, in der sich einmal nicht heutige Salzburger für jede Marmortafel, die frühere Salzburger aus dem Block gehauen haben, selber auf die Schulter klopfen. Beklemmend und befreiend.

Ursula Schachl-Raber, Helga Embacher, Andreas Schmoller, Irmgard Lahner (Hg.): Buchraub in Salzburg. Bibliotheks- und NS-Provenienzforschung an der Universitätsbibliothek Salzburg. Verlag Müry Salzmann, Salzburg 2012. 283 Seiten, 24,90 Euro.
Bild: Cover / Buchraub Seite 85

 

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