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Ein Tropfen Liebe, die geheim

HINTERGRUND / LAWINE TORRÈN / PILGRIM

25/10/12 Was ist schlimmer, ein verbotenes Verhältnis haben oder mehrstimmige Musik komponieren? Dem „Mönch von Salzburg“ wird beides vorgeworfen. Und so wird dem armen Kerl, von dem bis heute niemand weiß, wer er wirklich war, der Prozess gemacht – in einem Teil der Festung, der zu seinen Lebzeiten noch gar nicht gebaut war.

Von Heidemarie Klabacher

altDie Zahl der Salzburgbesucher aus Fernost und Übersee lag in der Regierungszeit Bischof Pilgrims II. (1365 bis 1396) bei Null. Genau wie an diesem nebelig-späten Mittwochnachmittag auf der Hohensalzburg. Fünf Russen, gut eingepackt, auf der Hasengrabenbastei. Der Burghof menschenleer. Keine weiteren Touristen. Nicht einmal ein pittoresker Mönchs- oder Gefangenenzug im Anmarsch. Gedreht wird also nicht, obwohl von irgendwoher alter geistlicher Gesang filmwirksam über Linde und Leere schwebt.

In der Georgskapelle ist auch niemand. Also muss der Gesang aus der „Pfisterei“ kommen: Dort proben Hubert Lepka und das Künstlerkollektiv Lawine Torrèn für ihre Performance „Pilgrim“, jene „Musikalisch Tänzerische Nachforschung“, die heute Donnerstag (25.10.) im Rahmen des Tanz_House Festivals Premiere hat.

Kerzen. Schlachtbank. Backofen. Refektoriumstisch. Laptop. Ein Schauprozess ist im Gange. Bischof Pilgrim II. ist – in Abwesenheit – angeklagt, erstens ein schlampiges Verhältnis mit einer verheirateten Frau geführt und zweitens unter dem Pseudonym „Mönch von Salzburg“ mehrstimmige Musik komponiert zu haben.

altDer Ankläger, Hubert Lepka liest vom Laptop, es ist ja noch Probe, zitiert aus dem Päpstlichen Dekret „Docta sanctorum patrum“ oder den noch päpstlicheren Schriften von Martin Mosebach. Die wilden Schnörksel - all das Leben und die Bewegung - die „moderne“ Komponisten wie Guillaume de Machaut in die alt-ehrwürdigen Choralmelodien hineinschwindeln, zerstören Andacht und Musik, „machen sie schlüpfrig“. Womöglich eine zweite Stimme, die sich um die erste rankt. Bewahre uns Gott!

Insiderwitz folgt auf Insiderwitz, wenn man das Spiel mit den zeitlichen Ebenen genauer betrachtet. Wie einst die Väter, will Martin Mosebach siebenhundert Jahre später noch immer den Gregorianischen Choral retten, der heute so aktuell ist, wie damals. Schlagen sich doch die Choralforscher noch immer blutige Wunden, wenn es um Grundfragen geht, wie die rechte Artikulation von Pes oder Torculus...

Das alles muss man nicht wissen. Und wer es weiß, kann es getrost vergessen. Es reicht die Wirklichkeit in der nur mit Kerzen erleuchteten verliesartigen „Pfisterei“, der ehemaligen Festungsbäckerei. Die inszenierte Gerichtsverhandlung, das Spiel mit alten und neuen Texten, mit historischen und imaginären Daten und Fakten, hat längst abgehoben Richtung Poesie.

altEr habe Liebe und Leben nicht unterschieden, führt die Verteidigerin ins Treffen. Gedichte des Mönchs, Liebeslyrik, die zum Schönsten gehört, was Dichter erdacht haben, kommen vom Band. Irgendwann legt die Verteidigerin, es ist die Tänzerin Mirjam Klebel, ihre Akten nieder. Fängt an zu tanzen, zu Kyrie und Gloria aus der „Messe de Nostre Dame“ von Guillaume de Machaut. Es singt das Solistenquartett von Lawine Torrèn erstmals in genau dieser Besetzung, weil gleich zwei Sängerinnen krankheitsbedingt kurzfristig ausgefallen seien, wird Hubert Lepka nach der Probe erzählen.

Erzbischof Pilgrim, ein gewiefter Politiker und Diplomat, hat die Musik Guillaume de Machauts in Avignon kennen gelernt, das ist jedenfalls eine Tatsache. Dann wird die „Verhandlung“ hinauf in die Goldene Fürstenstube verlegt: Lepka, Laptop, Quartett, Tänzerin und Zaungast marschieren die marmornen Treppen hinauf. Inzwischen ist es Abend und endgültig finster geworden. Außer ein paar „fremden“ Musikern, die die Pulte für das Festungskonzert aufstellen, sind Gänge und Säle menschenleer. Ein seltener Genuss.

Die berühmten Fürstenzimmer sind unter Leonhard von Keutschach um 1500 herum entstanden, lange nach Bischof Pilgrim und dem Mönch von Salzburg, seinem Protege. Aber hat nicht der „Salzburg-Erfinder“ Georg Pezolt auf einer Zeichnung dort schon Wolf Dietrich von Raitenau sterben lassen? Warum sollen Lawine Torrèn dort nicht Amtsbruder Pilgrim II. seinen Visionen von einer fernen tanzenden Geliebten nachhängen lassen?

altHier heroben gibt es keine Kerzen. Zu gefährlich. Aber auch die paar Vierzigwattbirnen lassen das geschnitzte Rankenwerk schimmern, wie das Blattgold in einer alten Handschrift. Ein Bilderreigen, wie die Fresken im Wasserschloss Freisaal, welches vielleicht (eher aber nicht) der „Freudensaal“ war, von dem der „Mönch“ in seinem berühmtesten weltlichen Lied erzählt: „Dem allerschönsten Weib in seinem Freudensaal...“

„invisible tales“ nennt Hubert Lepka diese Art, Geschichten zu erzählen: „Eine außerhalb der eigentlichen Show rein aus dem off erzählte Geschichte (im Autoradio, im Booklet) läuft auf einen Punkt zu, wo die Erzählweise radikal in live umschlägt. Ab hier herrscht für eine knappe und dichte Szene Echtzeit und 1:1“, heißt es auf der website von Lawine Torrèn. Bei der Probe gestern Mittwoch (24.10.) stand die „echte Zeit“ jedenfalls für Augeblicke still.

„Pilgrim“ - Premiere heute Donnerstag (25.10.); weitere Aufführungen Freitag und Samstag (26./27.10.) jeweils 18 Uhr; Treffpunkt ist die  Linde im Hof der Festung Hohensalzburg – begrenzte Teilnehmerzahl - Karten und Info – www.argekultur.at - tanz_house festival 2012
Bilder: dpk-klaba/Magdalena Lepka (1)


 

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