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Mit Gewalt an die Macht

MÜNCHEN / BORIS GODUNOW

21/02/13 Gewalt auf der Bühne gehört zu den Inszenierungen von Calixto Bieito. Ist sie nicht auf den ersten Blick inhaltlich notwendig, zeigt der Katalane, wie man sie in Worten und Musik finden kann. Ein Werk wie „Boris Godunow“, in dem der Weg zur Herrschaft über Mord und Unterdrückung im Mittelpunkt steht, muss da geradezu ein Kinderspiel für ihn sein.

Von Oliver Schneider

Gewalt ist das Thema. Und in der Tat, so schlüssig ist kaum eine seiner letzten Inszenierungen gelungen. Hier verstört es nicht, wenn schon in der ersten Szene das demonstrierende Volk von der Polizei geknüppelt wird oder am Ende der falsche Dimitrij Boris’ Kinder und die Amme erwürgt respektive mit dem Kissen erstickt, ja selbst der regierende Zar selbst auf offener Bühne handgreiflich wird.

Gespielt wird im Münchner Nationaltheater die Urfassung aus dem Jahr 1869, die dramaturgisch folgerichtiger und radikaler ist als die drei Jahre jüngere, revidierte Fassung. Claudio Abbado hatte 1994 bei den Salzburger Osterfestspielen auf die Zweitfassung zurückgegriffen, die mit dem Polenakt noch eine zusätzliche weibliche Hauptrolle einführt. So schön der Akt musikalisch ist, zur Kernaussage trägt er wenig bei: dem Zerbrechen von Boris an der Macht.

Calixto Bieitos Russland ist ein schwarzer Bühnenraum, in dem sich nur ein riesiges Schiffsheck befindet, dessen Wände sich für die Szenen im Kreml und in der Duma öffnen (Bühne: Rebecca Ringst). Klar, spielt dieser „Boris“ heute (Kostüme: Ingo Krügler), demonstriert das Volk zu Beginn gegen die Mächtigen der jüngsten Vergangenheit: Putin, Sarkozy, Blair, Bush jr. und Zapatero.

Schon in der anschliessenden Klosterszene beweist Bieito aber, dass er nicht nur ein blendender Arrangeur von Tableaus ist, sondern auch Personen zu führen weiß. Zwar spielen auch der Chronist und Mönch Pimen und sein Schüler Grigorij einfach vorne an der Rampe, aber zwischen den beiden entsteht eine unglaubliche Spannung. Mag sein, dass es Bieito schwerer gehabt hätte, wenn sein Pimen nicht Anatoli Kotscherga hieße, der unter Abbado vor 18 Jahren selbst der Boris war und heute immer noch über ein vollkommen intaktes Stimmmaterial und eine enorme Bühnenautorität verfügt.

Die Schenkwirtin ist eine moderne Marketenderin, die neben Süßigkeiten vor allem Alkoholisches verkauft. An die beiden zwielichtigen Obdachlosen Missaïl (Ulrich Ress) und Warlaam (großstimmig Vladimir Matorin und andernorts selbst ein Boris), aber auch sich selbst genehmigt sie immer wieder einen Schluck. Was bleibt ihr auch in der aussichtslosen Trostlosigkeit, in der sie lebt? Wenn sie genug intus hat, fallen auch bei ihr die Hemmungen, und sie schlägt auf die Tochter ein. Auch davor, einen Wachsoldaten zu erschießen, damit der aus Moskau flüchtige Grigorij (Sergey Skorokhodov) über die litauische Grenze entkommen kann, schreckt sie nicht zurück.

Im sprichwörtlichen goldenen Käfig lebt die Zarenfamilie, Fjodor (Yulia Sokolik) ist in München ein mit einem Weltkugel-Ball spielendes Mädchen, Xenia (Eri Nakamura) ein den verstorbenen Bräutigam betrauerndes Luxus- Girl. Wie schon in der zweiten Szene, in welcher der windige Bojaren-Fürst Schuiskij (Gerhard Siegel mit markantem Charaktertenor) die Masse aufgefordert hat, den gar nicht selbstsicheren Boris als neuen Herrscher zu preisen, wird der Zar auch im Kreis seiner Familie von dunklen Ahnungen verfolgt. Den Zarewitsch hat er getötet, um selbst an die Macht zu kommen, zumindest bei Puschkin und in der Oper.

Mit Alexander Tsymbalyuk steht sehr überzeugend ein erst 36-Jähriger als Rollendebütant auf der Bühne. Ein Mann, der eigentlich noch einige Jahre vor sich hätte. Ein Mann, der trotz seiner Jugendlichkeit psychische Extremsituationen auszuloten weiß. Eine bestens fokussierte  Stimme, und es geht einem unter die Haut, wenn er ängstlich deklamiert. Ein Meisterstück der Personenregie ist der Moment, wenn Schuiskij in der Schlussszene die Bojaren gegen Boris aufhetzt, nicht mit Worten, dafür mit Bestechungsgeld, von einem Wahnsinnsanfall des Zaren berichtet und dieser nur noch als Elendsbündel unter dem Tisch hervorkriecht.

Szenisch ein großer Abend und genauso musikalisch. Jede kleinste Rolle trägt dazu bei. Wenigstens Markus Eiche als Apparatschik Andrej Schtschelkalow mit seinem gereiften Bariton und Kevin Conners als Gottesnarr seien noch erwähnt. Und natürlich die klangmächtigen Chöre, einstudiert von Sören Eckhoff und Stellario Fagone, die trotz der Wahl der Urfassung zu einem Hauptprotagonisten geworden sind. Am Pult steht Kent Nagano. Es ist seine letzte Neuproduktion an der Bayerischen Staatsoper. Und es ist ein Werk, für das er der ideale Dirigent ist. Der raue Grundton, die scharfen Kontraste, nichts glättet er. Nicht zuletzt dank der Tatsache, dass das Werk pausenlos gespielt wird, kann Nagano ausserdem den langen Bogen über die sieben Bilder schlagen. Eine exemplarische Aufführung, wie man sie in München nicht alle Tage erlebt.

Weitere Aufführungen am 23., 27.2, 2.3 sowie 26. und 30.7.2013 während der Opernfestspiele - www.staatsoper.de

 

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