asdf
 

Wagner ist gesünder als LSD

OSTERFESTSPIELE / INTERVIEW

22/03/13 "Würden wir zehn Flaschen Wein trinken, hätten wir eine Alkoholvergiftung. Hören wir zehn Mal den Tristan, erweitert der Rausch unser Bewusstsein." Nicht mit Tristan, sondern mit Richard Wagners „Parsifal“ beginnen morgen Samstag (23.3.) die Osterfestspiele. Es spielt die Sächsische Staatskapelle Dresden unter der Leitung von Christin Thielemann. Der Musikjournalist Axel Brüggemann sprach mit dem Dirigenten über Salzburg, Wagner und die Macht der Musik.

Bis zum letzten Jahr waren die Berliner Philharmoniker in Salzburg zu Hause. Nun kommen Sie mit der Staatskapelle Dresden - wie fühlt sich das an?
Ich verstehe schon, worauf Sie hinauswollen. Ich fühle mich den Berliner Philharmonikern verbunden, verehre die Geschichte dieses Orchesters. Ich musiziere aber auch gern mit den Wiener Philharmonikern, ich dirigiere gern in Bayreuth und bin dort an dem Ort, an dem auch der Meister zu Hause war. Wirklich zu Hause bin ich aber in Dresden, bei der „Wunderharfe“, bei jenem Orchester, das einst von Wagner selbst geleitet wurde. Und für mich ist es schön, dass wir nun in Salzburg spielen. Ich frage Sie: Was will man mehr, um glücklich zu sein?

In Salzburg dirigieren Sie Wagners Parsifal - die Oper des Leidens. Was tut so weh an diesem Werk?
Eigentlich alles! Ich finde, dass Wagner das großartig macht: Schauen Sie allein diesen ersten Aufzug an, der ist lang, die Erzählung des Gurnemanz, die hört überhaupt nicht auf. Das ist anstrengend für die Musiker, den Dirigenten - und für das Publikum. In Bayreuth sitzen die da auf ihren Holzstühlen, und merken, dass Oper nun weh tut. Und dann, plötzlich, wenn man eigentlich nicht mehr an Erlösung glaubt, dann gibt Wagner uns wieder Musik, die uns in andere Dimensionen bringt, die uns alles vergessen lässt.

Sie meinen, dass Musiker, Publikum und Sie selbst wirklich leiden müssen bei einer Oper wie Parsifal?
Aber natürlich, das ist ja - überspitzt gesagt - das, was Wagner mit dem Gesamtkunstwerk gemeint hat: Die Musik spielt nicht nur auf der Bühne. Sie spielt in unseren Köpfen. In unseren Körpern. In unserer Welt. Die Oper macht etwas mit uns. Und ich sage Ihnen, was Wagner macht, das ist zutiefst gefährlich!

Als Dirigent sind Sie andauernd in einem emotionalen Ausnahmezustand. Sie organisieren die Gefühlswallungen. Ist es nach einem Konzert nicht langweilig, wieder in das normale Leben des Christian Thielemann zurückzukehren?
Nein, denn das ist meine einzige Rettung! Ich bin keiner dieser Theaterleute, die sagen, dass das wahre Leben auf der Bühne stattfindet. Die Bühne kann das wahre Leben aber beflügeln. In der Musik ist möglich, was in der Wirklichkeit oft nicht möglich ist. Umso wichtiger ist es, sich nach der Aufführung auch wieder zu erden.

Und wie steht es um das Publikum - merken Sie, dass Sie eine Macht über Ihre Zuhörer haben?
Natürlich, und ich will das Publikum ja bewegen. Dabei geht es aber nicht darum, dass sie mir nach dem Konzert eine Million Euro überweisen, oder dass sie SPD oder CDU wählen. Mir ist es wichtig, dass mein Publikum das Theater oder den Konzertsaal in einem guten Sinne manipuliert verlässt.

Was bedeutet „gute Manipulation“?
Ich nehme das Wort beim Wort: Die Leute mit den Händen ergreifen. Ich will sie nicht zu Dingen verführen, die sie eigentlich nicht wollen. Ich möchte Ihnen jenen Raum öffnen, der sich auch mir durch die Musik öffnet: Eine Welt, in der man hemmungslos und ohne Rücksicht auf die Regeln der Welt denken und fühlen darf. Ich will den Menschen mit der Musik zeigen, dass wir in einer Symphonie oder einer Oper Grenzen überschreiten können, die im Leben unmöglich wären. Würden wir zehn Flaschen Wein trinken, hätten wir eine Alkoholvergiftung. Hören wir zehn Mal den Tristan, erweitert der Rausch unser Bewusstsein.

Jetzt hören Sie sich an wie ein Alt-68er! Sie meinen, Tristan sei besser und gesünder als LSD?
Aber natürlich! Grundsätzlich hat der Mensch Rauschzustände ja sehr gern. Weil es im Rausch um das Gleiche geht wie in der Musik, um die Erweiterung des Bewusstseins. Ein politischer Rausch ist mir immer suspekt. Mit ist die Bewusstseinserweiterung durch eine Tristan-Aufführung lieber.

Und welche Wirkungen hat diese Erfahrung auf Ihr Leben?
Jeder Rausch beeinflusst uns - weil wir in ihm Dimensionen erfahren, die wir im echten Leben nicht erreichen.

Ist es das, was wir zweihundert Jahre nach Wagners Geburt an ihm lieben? Was macht ihn so modern für Filme wie Apocalypse Now oder Lars von Triers Melancholia?
Wagner ist überzeitlich, die Gefühle, die er in Musik gießt, werden uns - leider könnte man sagen - immer begleiten. Und, klar, das macht ihn auch für die Popkultur interessant. In Apocalypse Now, wo die Hubschrauber zum „Walkürenritt“ über Vietnam kreisen, finde ich Wagner allerdings fehl am Platz. Das ist mir ein zu großes Klischee, das dem Genie Wagners, seiner Doppeldeutigkeit, nicht gerecht wird. Ganz anders ist es bei Lars von Trier: Der thematisiert die Melancholie und das Ende der Welt. Was liegt da näher als der Tristan?

Sie wurden lange wegen Ihrer klaren Worte angefeindet. Inzwischen sind Sie everybody’s darling. Was hat sich geändert?
Für mich persönlich nur, dass ich vor 15 Jahren dachte, mich und mein Leben vorhersehen zu können. Inzwischen genieße ich das Unvorhersehbare.

Sie müssen sich also immer neu erfinden?
Der Kern bleibt wahrscheinlich. Aber ich befrage mich gern neu und definiere meine Position in der Welt. Ich arbeite ja nur mit Partituren ohne Einzeichnungen. Ich sehe also nicht, wie ich einen „Holländer“ vor einigen Jahren gemacht habe. Ich muss diese Opern immer wieder neu entdecken. Und manchmal denke ich an einer Stelle: „Das steht zwar kein Ritardando - aber ich fände es schön.“ Das sage ich dann den Musikern. Und manchmal fragen die mich: „Aber warum denn, das steht doch gar nicht drin.“ Und ich antworte: „Weil ich das schön finde.“ Dann schmunzeln sie - und machen es.

Vielleicht auch, weil Sie offener geworden sind?
Es hat bei mir vielleicht etwas gedauert, dass ich Meinungen, die nicht meine sind, wertgeschätzt habe. Aber dieses Recht fordere ich auch für mich ein. Darum geht es letztlich auch in Israel in Sachen Wagner: Ich finde, dass man niemanden dazu zwingen darf, etwas zu hören, was er nicht hören will. Aber ich finde auch, dass man niemanden verbieten sollte, das zu hören, was er gern hören möchte. All das ist eine Frage der Toleranz.

Wie politisch ist die Musik denn wirklich?
Musik ist zunächst einmal: Noten. Ob Wagner Revolutionär war oder Beethoven seine dritte Symphonie Napoleon widmen wollte - das sind Fragen für Musikhistoriker. Für einen Musiker sind sie weniger entscheidend. Es macht mich wütend, wenn ich Traktate der Musikwissenschaftler lese, die versuchen, eine Partitur einer Ideologie unterzuordnen. Keines dieser Bücher zeigt mir, wie ich die Meistersinger besser dirigieren kann. Mir ist es auch unmöglich, aus einem späten Beethoven-Quartett abzulesen, ob Ludwig gerade Probleme hatte, schlechte Laune oder Hunger. Inzwischen beobachte ich allerdings, dass die Ideologisierung der Musik schwindet.

Sie gelten als konservativ. Gleichzeitig scheinen Sie aber auch revolutionär zu sein. Wie ordnen Sie sich selbst politisch ein?
Ich bin ein geläuterter Konservativer, vielleicht die neue Avantgarde. Ich bin nicht engstirnig und trotzdem traditionsbewusst. Ich fühle mich sehr in meiner Tradition verwurzelt und bin gerade deshalb in der Lage, neugierig auf anderes zu sein.

Mit freundlicher Genehmigung der Osterfestspiele - Das Gespräch mit Christian Thielemann führte der Musikjournalist und Publizist Axel Brüggemann. Das vollständige Interview lesen Sie auf der Website der Osterfestspiele - www.osterfestspiele-salzburg.at
Bilder: dpk-Klabacher


 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014