asdf
 

Der herzhafte Überdruck aller Wunderhörner

FESTSPIELE / EL SISTEMA / DUDAMEL / MAHLER VIII

25/07/13 Das Wort „Umwegrentabilität“ könnte man recht gut erklären am Beispiel des ersten der „El sistema“-Konzerte am Mittwoch (24.7.) im Großen Festspielhaus. War überhaupt schon mal eine solche Podiumsfläche so dicht an dicht besetzt mit Musikern und Sängern?

Von Reinhard Kriechbaum

115Es ist einsichtig, dass Mahlers Achte Symphonie – nicht ohne Grund auch als „Symphonie der Tausend“ bezeichnet – nicht Musik von der Art ist, mit der man sich als Veranstalter goldene Nasen verdienen könnte. Einfach zu enorm der Aufwand! Aber wenn ein jeder aus den singenden und musizierenden Heerscharen auch nur zum nächsten Würstelstand auf ein Burenhäutl geht, ist der wirtschaftliche Effekt ein ansehnlich positiverer. Tatsächlich ist die Umwegrentabilität eines solchen Abends von Publikums- wie auch von Seite der Ausführenden her unvergleichlich höher. Das also ist, in diesem Fall für alle einsichtig, der oft zitierte „Wirtschaftsmotor Festspiele“. Wir sind echt beeindruckt von dieser Demo.

Mahlers „Achte“ hat auch mit Musik zu tun, und was das betrifft, ist ebenfalls viel Positives zu berichten. Die Massen wollen bewegt und koordiniert sein, und man will das eigenartige Werk nicht nur als Jahrhundert-Schallpegelstand erleben, sondern auch die eine oder andere Klangfarbe heraushören.

Der (Über-)Druck war nach 25 Minuten weitgehend abgehakt. Die „Symphonie der Tausend“ beginnt ja mit einer Vertonung der mittelalterlichen Pfingstsequenz „Veni Creator Spiritus“, die gleichsam heraus gepeitscht wird aus den Massen. Ein fast unterbrechungsloses Furioso, das den endgültigen Kick bekommt, wenn eine kleine Phalanx aus schwerem Blech vom Balkon herunter schmettert und das Volumen noch extra aufpeppt. Das ist Klassik-Pop fürwahr mit Urgewalt. Alle Achtung aber: Man hat den ganz links positionierten Kinderchor der Festspiele auch noch  plastisch herausgehört, wenn man (wie der Schreiber dieser Zeilen) ziemlich rechts und damit  bedrohlich nahe den 14 Bassgeigen saß.

116Am Vortag hatte in einem Pressegespräch einer der jungen „El Sistema“-Dirigenten sinngemäß gesagt: Für die Orchester von „El sistema“ sei die Arbeit in Riesenbesetzungen sozusagen Alltagsbetrieb.  Ja, man kann wirklich umgehen mit dem Volumen, da wurde wenig zugedeckt. Dass man sogar mit dem Programmheft in der Hand sich als Hörer hat zusammenreißen müssen, um dem Text zu folgen (sei er lateinisch, oder dann deutsch), liegt in der Natur der Sache. Ein Monstrum ist Mahlers „Achte“ nun mal.

Deutlich differenzierter (und die Ohren schonender) der einstündige zweite Abschnitt, textlich die vertonte Schlussszene des „Faust“. Da hat Mahler ja nochmal alle möglichen Lieblichkeiten seiner Wunderhorn-Symphonik aufgelegt. Vor allem die Flöten dürfen Lyrik in dicken Schwaden absondern. Die Solisten – im ersten Teil vorwiegend als gemischtstimmiges Septett oder als Frauen-Quartett in der Kleingruppe gefordert, bekommen hier Rollen zugewiesen: Der Tenor Klaus Florian Vogt ist an schlanker Leuchtkraft als  „Doctor Marianus“ schwer zu überbieten, der Bariton Detlef Roth hat sich mit verzerrtem Gesichtsausdruck hineingelegt in die Partie des „Pater Ecstaticus“ und Kurt Rydl mit souveräner Lebenserfahrung den „Pater profundus“ argumentieren lassen. Und dann erst die Frauen! Die Wagner-erprobten Altistinnen Birgit Remmert (Magna Peccatrix) und Yvonne Naef (Mulier Samaritana), die konturenstarke Sopranistin Emily Magee (Maria Aegyptica) und die glockig über dickste Klangballungen sich verströmende Juliane Banse als Gretchen/Una Poenitentium. Dann nochmal ein dramaturgischer Kniff, wenn Anna Prohaska als Mater Gloriosa vom Seitenbalkon links quasi himmelwärts abhebt: Süffiger geht’s einfach nicht.

Gustavo Dudamel hat die Zweihundertschaft des Simón Bolívar Symphony Orchestra of Venezuela äußerst diszipliniert bei der Stange gehalten und die Chormassen (das österreichische Projekt „Superar“, den Simón Bolívar Youth Choir und den Wiener Singverein) zu pünktlichstem Miteinander und gar nicht selten zu einnehmendem Pianissimo angehalten. Das hatte eben nicht nur breiten-Format, sondern sogar innere Leuchtkraft.

Über die „Symphonie der Tausend“ haben nicht nur die eingeschränkte Finanzkraft der Konzertveranstalter, sondern schon auch das Urteil der Geschichte gerichtet. Fein, wenn sich Festspiele so etwas trotzdem (einmal) leisten. So weiß auch ein riesengroßes Publikum, das sich die „Achte“ auf CD natürlich auch eher nicht antut, dass ihm außer Rumor eigentlich wenig entgeht. Man ist mit aller anderen Mahler-Symphonik besser bedient. Und die kommt heuer in Salzburg ja auch noch als Ganzes. Der Auftakt war jedenfalls nachhaltig beeindruckend.

Rundfunkübertragung am kommenden Mittwoch (31.7.) um 19.30 Uhr in Ö1
Bilder: SFS / Nohely Oliveros

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014