asdf
 

Das ältere und das jüngere Fräulein

FESTSPIELE / NORMA

18/08/13 Die Flöte hat an ihrem Solo im „Casta Diva“ seit Pfingsten ordentlich geübt. Auch sonst ist jetzt im Orchester – „La scintilla“, der Originalklang-Crew von der Zürcher Oper –vieles intakt, was bei der Premiere von Bellinis „Norma“ bei den Pfingstfestspielen noch etwas disparat wirkte.

Von Reinhard Kriechbaum

192An so manches hat man sich ja erst gewöhnen müssen bei Bellinis „Norma“, die zu Pfingsten Premiere hatte: vor allem an die Rückführungen auf den originalen Notentext, der mit dieser Produktion erstmals für eine Bühnenaufführung umgesetzt wurde. Die Partie der Titelrolle liegt tiefer, viele kleine Veränderungen dramaturgischer aber auch unmittelbar musikalischer Art schaffen neue, spannende Gewichtungen zwischen den Handelnden. Da war in den beiden Aufführungen bei den Pfingstfestspielen manches noch nicht optimal gewichtet, geschweige denn eingeschliffen.

193Nun, bei der Wiederaufnahme-Premiere am Samstag (17.8.) hat sich ein deutlich schlüssigeres Bild ergeben. Giovanni Antonini, der zu Pfingsten Tempi gelegentlich unendlich zerdehnte (oder dies zumindest zuließ), hat die Sache jetzt dramaturgisch entschieden besser im Griff. Eine „Neue Langsamkeit“ für Bellini zeichnet die Aufführung nach wie vor aus und das entscheidende Stocken des Pulsschlages gibt mancher Szene Gewicht. Aber das geht jetzt mit deutlich weniger Manierismus vonstatten, was gerade den Holzbläsern Atem-Ruhe und damit Sicherheit im Ansatz gibt.

Nach wie vor wird sehr bestimmend mit den Bläserfarben gemalt, wogegen die Streicher akustisch eher im Hintergrund, wenn nicht im Abseits stehen. Aber das gehört eben zu diesem grundsätzlich neuen „Norma“-Hörbild wie die deutlichen Rubati, mit denen Giovanni Antonini Bellinis Musik eindeutig im hochromantischen Zeitalter verortet. Ein solches Pendeln zwischen extremen Gefühlswerten stünde dem urdeutschen Kapellmeister Kreisler gut an…

194Was „Norma“ schon zu Pfingsten ausgezeichnet hat: Die Aufführung ist absolut keine One-Woman-Show für Cecilia Bartoli. Hat sie bei der Premiere damals den ausufernden Emotionen sehr viel Vibrato mitgegeben, so wirkt ihre Stimme jetzt entschieden genauer geführt und fokussiert. Die feinen Fiorituren, nicht selten chromatisch ausgereizt, kommen umso präziser und bestätigen: Nach Vincenzo Bellinis ursprünglicher Absicht steht diese Rolle ganz und gar nicht für belcanteske Koloraturen-Maschinerie. Es ist Bekenntnismusik fast ohne Beispiel.

195Rebeca Olvera als Adalgisa, jene junge Frau, in die sich der Prokonsul Pollione verliebt hat und deretwillen er Norma mit ihren zwei Kindern sitzen lässt: Das ist vom Timbre her eine andere Welt. Gerade mit der Klangfarben-Spannung zwischen diesen wunderbaren Stimmen arbeitet der Dirigent, arbeiten auch die beiden Protagonistinnen. Das beschert spannendste Momente. John Osborn als Pollione ist in die Tenorpartie merklich hineingewachsen, was gestalterischen Nachdruck betrifft und auch die höhensichere Selbstverständlichkeit der Koloraturen. Es ist nichts verändert in der Besetzung, auch nicht bei den kleineren Rollen (Michele Pertusi als Oroveso, Liliana Nikiteanu als Clotilde, Reinaldo Macias als Flavio). Die Aufführung hat hohe Ensemble-Qualität, in die sich der präzis-leicht artikulierende Coro della Radiotelevisione Svizzera, Lugano akkurat einklinkt: eine Vielzahl musikalischer Genrebilder mit Finesse.

Zu Pfingsten hat sich das Premierenpublikum ganz ohne Vorbehalte für die Inszenierung durch Moshe Leiser und Patrice Caurier ausgesprochen, diesmal gaben sich Besucher deutlich weniger euphorisch (aber auch nicht ablehnend). Zur Erinnerung: Die Handlung – Original im Spannungsfeld zwischen römischen Invasoren und einem Volk, das einer Naturreligion mit Priesterinnenkult anhängt – ist hier verlegt in die Resistance, vielleicht im Franco-Spanien, vielleicht irgendwo in Südamerika.

Norma ist nicht Priesterin und Wahrsagerin, sondern Schuldirektorin, Adalgina nicht Novizin, sondern Junglehrerin. Das Schulgebäude dient den Freischärlern als konspirativer Treffpunkt und als Waffenlager. Die Dreiecksbeziehung, die durch die Unerlaubtheit der Liebe zwischen feindlichen Lagern noch an Schärfe gewinnt, wird auch in diesem der Oper übergestülpten Plot glaubwürdig erzählt. Norma und ihr zu spät reuiger Pollione landen nicht auf dem Scheiterhaufen, sondern werden mitsamt dem Schulgebäude, zwischen allerlei Gerümpel an Sessel gebunden, abgefackelt. Mit so viel Bühnenrauch diesmal, dass die Protagonisten beim Schlussbeifall längere Zeit nur als Schemen zu erkennen waren.

Weitere Aufführungen am 20., 24., 27. und 30. August – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SFS / Hans Jörg Michel
Zur Premierenbesprechung von den Pfingstfestspielen 2013
Ungewöhnlich gewöhnungsbedürftig

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014