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Abschied und Aufbruch

FESTSPIELE / GEWANDHAUSORCHESTER / CHAILLY

01/09/13 Das Gewandhausorchester Leipzig und Riccardo Chailly mit Gustav Mahlers 9. Symphonie im Großen Festspielhaus. Ein bewegendes Erlebnis zum Abschluss des Mahler-Zyklus der Festspiele am Samstag (31.8.) zu Mittag.

Von Gottfried Franz Kasparek

002Die „Neunte“ ist nicht nur ein Werk des Abschieds, das gälte eher für die unvollendete „Zehnte“. Der Tod ist bei Mahler immer mitten im Leben. Wenn ein sensibler Mensch erfährt, dass er schwer herzkrank ist, wenn noch dazu eines seiner Kinder stirbt, dann ist es klar, dass ihm der Tod was zu erzählen hat, um Paul Bekker zu zitieren. Und der Beginn der monumentalen, jedoch gleichzeitig äußerst fragilen Symphonie, jener stockende Pulsschlag, hat zweifellos etwas mit unregelmäßigen Herztönen zu tun, wie Leonard Bernstein vermutet hat. Und doch - dieses Werk ist nicht bloß tragisch tönende Autobiographie, nicht bloß romantische Welterklärung, es ist auch ein Aufbruch zu aufregend neuen Klängen nach den hypertrophen, nicht mehr zu steigernden Gewalten der „Achten“. Gerade in den Ecksätzen, in den intimen Tonmalereien, in den fratzenhaften, in den parodistischen Momenten lebt eine Sprengkraft, welche Mahler deutlich als Zeitgenossen einer Zukunft ausweist, weiche die Musik ein Jahrhundert lang verändern sollte.

Riccardo Chailly ist ein getreuer Sachwalter Mahlers. Er lässt die harmonische Experimentierlust immer durchschimmern, er beherrscht die Dramaturgie der expressiven Aufschwünge und jähen Abstürze perfekt, er deckt die luziden Klangreibungen und scharfen Kanten dieser Musik nie zu – aber er seziert die Partitur nicht. Über alle analytische Feinarbeit ist ein großer, packender Bogen gespannt. Klar wird auch, dass die schrägen Walzer und über die Abgründe tanzenden Ländler des zweiten Satzes ambivalent sind – faszinierend vital, durchaus mit dem Zauber des Volkstümlichen spielend, aber gleichermaßen gefährlich, „etwas täppisch und sehr derb“, wie Mahlers Spielanweisung lautet. Ein Gegenbild eben zur Musik um Leben und Tod im weit atmenden ersten Satz. Die Burleske, ins Grelle getrieben, berührt im plötzlich keimenden lyrischen Aufblühen des Mittelteils. Das Finale, schwer, ernst und voll gezügelter Wehmut, kulminiert in genau jenem „ungemein bewegenden, atemberaubenden Verlöschen“, wie Walter Weidringer im Programmheft so treffend schreibt, und bleibt dabei völlig unsentimental. Immer wieder lösen sich Motive aus dem Nichts, versinken leise Kantilenen, bis zur endgültigen Stille. Die Streichergruppen des Gewandhausorchesters vollbringen hier wahre Wunderdinge an Klarheit und Schönheit.

Überhaupt, das älteste „bürgerliche“ Orchester der Welt – gegründet noch zu Lebzeiten Bachs – präsentiert sich als in jeder Gruppe hochkarätiger Klangkörper, die diffizilen Soli von Horn, Trompete, Englischhorn, Kontrafagott und so weiter erklingen nicht nur (fast) unfallfrei, sondern, was wichtiger ist, in größter Intensität, die Harfen nuancieren wahrlich inbrünstig, das Schlagzeug wird nicht nur perfekt donnernd und schellend, sondern wenn nötig auch mit Gefühl eingesetzt. Der Gesamtklang des Orchesters ist fein aufgefächert und hat dabei sonore Qualität von eigenem Charakter.

Im Finale hörte man die sprichwörtliche Stecknadel fallen und der große Applaus mit offenbar schon normalen stehenden Ovationen am Ende setzte erst nach einem schweigenden Besinnungsmoment ein. So soll es sein.

Bild: Gewandhaus / Gerd Mothes

 

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