Das Moosmandl auf dem Holzpferd

FESTSPIELE / GAWAIN

28/07/13 Eine Axt tut es nicht, wenn es darum geht, den Grünen Ritter zur Strecke zu bringen. Also mit der Kettensäge rauf auf die Leiter, um den reitenden Herren seinem eigenem Wunsch gemäß einen Kopf kürzer zu machen! Das funktionierte bei der Premiere am Samstag (26.6.) so gut, dass der Kopf in den Orchestergraben purzelte.

Von Reinhard Kriechbaum

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Ein Bassgeiger hat nach ein paar Schrecksekunden die Situation gerettet und das Ding wieder auf die Bühne gehievt. Das war wichtig, denn die Herren um King Arthur – ein alter Knacker im Rollstuhl – brauchen den Kopf. Mit dem abgeschlagenen Haupt lässt sich ein bisserl Hamlet spielen: Sein, oder nicht sein ist die Frage.

Für die Oper Gawain von Harrison Birtwistle wäre es vielleicht besser, nicht zu sein. Jedenfalls nicht in dieser Art, wie sie nun opulent und betriebsam (bei einer Beinahe-Null an eigentlicher Handlung) von der Bühne knallt und reichlich aufdringlich aus dem Orchestergraben dröhnt. Mehrmals ertappt man sich im Lauf der über drei Stunden bei dem Versuch, die Augen zu schließen und sich die Sache testhalber konzertant vorzustellen: Klappt auch nicht.

Die Geschichte von Gawain also: Er ist der letzte handlungsfähige Ritter im geriatrischen Gefolge des greisen Arthur. Da kommt der Grüne Ritter, sucht einen Mutigen, der bereit ist, ihm den Kopf abzuschlagen. Gawein findet sich als der gesuchte Draufgänger. Ein Jahr und ein Tag bleiben ihm, bis er seinerseits vor dem – natürlich untoten – Grünen Ritter antreten und den Gegenschlag gewärtigen muss. Gawain, der Held, lernt Furcht und Demut.

134Das wurde also vom Librettisten David Harsent ein wenig symbolistisch aufgefettet und von Harrison Birtwistle klangsatt vertont. Die Musiksprache, sympathisch undogmatisch, pendelt zwischen Klangsinnlichkeit in Gefolgschaft Benjamin Brittens (an den auch der Duktus der Singstimmen erinnert) und recht vordergründiger Effekthascherei. Riesig die Orchesterbesetzung, mit Schlagzeugbatterien seitwärts der Bühne. Der Salzburger Bachchor bleibt, geführt von zwei (!) Subdirigenten, unsichtbar auf der Beleuchterbrücke.

135Der Chor hat weit reichende Aufgaben jeweils an den Aktenden, denn da wird das geschehen mit Versen aus dem „Dies irae“ überhöht – satte Chortableaus, die der Bachchor mit ansehnlichem Volumen und präziser Intonation der satten Dissonanzen umsetzt.

Es gilt für Ingo Metzmacher über große Wegstrecken hinweg zu koordinieren. Das gelingt untadelig, aber es bleiben optionale Zwischentöne auf der Strecke. Gerade weil viele Passagen immer wieder notenident auftauchen (Harrison Birtwistle baut auf die insistierende Wiederholung), fällt es auf, dass bei aller Pünktlichkeit die klangliche Feinarbeit und die Differenzierung auf der Strecke geblieben sind (oder sich in der Felsenreitschule eben verlieren).

138Die Sänger haben allesamt das Format, durch- und drüber zu kommen: Christopher Maltman (wiewohl als indisponiert entschuldigt) ließ da ebenso wenig Wünsche offen wie Jeffrey Lloyd-Roberts (ein tenoraler Strahlemann, dem man sein von der Regie verordnetes Rollstuhl-Dasein nie und nimmer abnimmt). Andrew Watts (ein Countertenor mit aufgeklebtem Rauschebart) als Baldwin ist ein prägnanter Typ im Gefolge Arthurs. Wenn John Tomlinson als Grüner Ritter auf der Pferdeskulptur herein geschoben wird, bleibt ob der Bass-Mächtigkeit sowieso kein Auge trocken. Der mächtige Knabe muss dann auf seinem Ross wieder mit umständlichem Geschiebe rausbefördert werden. Zum Köpfen braucht’s schließlich eine Holzfigur. Unbeholfener kann man das szenisch nicht lösen.

139Toll die Frauenstimmen, Laura Aikin allen voran. Sie singt die Hexe Morgan, die dauernd viel zu sagen, zu erklären, zu mäkeln hat und dies mit betörend differenziertem Sopran tut – die mit Abstand stärkste Gesangsleistung des Abends. Im ersten Akt ist Morgan le Fay, so wie Lady de Hautdesert (Jennifer Johnston), in grüne Moosgewänder gehüllt. Zu zweit sind die beiden Damen Dauer-Kommentatorinnen der Begebenheiten rund um die marode Arthur-Gesellschaft. Gun-Brit Barkmin als Guinevere sieht zwar totenbleich aus, stimmlich hat man aber den Eindruck, dass sie zu den wenigen noch einigermaßen Lebenskräftigen gehört an Arthurs Hof.

Womit wir endgültig bei der Optik wären, die Regisseur Alvis Hermanis bereit hält: Ein Ritterepos zu bebildern, bringe es heutzutage wohl nicht – so sagte er am Tag der Premiere in einem Pressegespräch. Aber Bilder müssen sein bei einer Oper, und Hermanis mag gefühlt haben, dass ein Raum wie die Felsenreitschule noch dazu starke Bilder braucht.

Also führt er uns auf der einen Bühnenhälfte eine Geisterbahn-Szenerie vor, wie geschaffen dazu, sie nach Festspielende beim Rupertikirtag zu recyceln. Arthur und sein Gefolge haben einen Supergau, Überschwemmungen und einen Tsunami hinter sich. Im Video sehen wir all das, was hereingebrochen ist. Die wahren Helden der Tafelrunde lagern schon in Särgen, die geöffnet werden. Mit den Skeletten ist gut tanzen. Alles ist jenseitig wie nur.

136Auf der rechten Bühnenseite sind Autowracks gestapelt, grün überwuchert. Merke auf: Die Natur trägt den Sieg über die Menschen davon, auch wenn dann doch Warnblinkanlagen und Rücklichter zu leuchten beginnen. Strom scheint es also noch ausreichend zu geben. Es blinkt gelb, wenn ein Auftritt durchs Riesentor fällig ist – armseliger Mensch und/oder mächtiges Pferd mit Moosmandl. Sind wir im Reich des Grünen Ritters, leuchtet obendrein ein Drudenfuß aus weißen Neonröhren.

Da hat man also zu schauen und ist doch gelangweilt. Alvis Hermanis hat sich dann noch etwas ausgedacht, um den Titelhelden irgendwie heutig zu machen. Eigentümlicher Weise ist er dabei im Gestern der Achtundsechziger-Generation gelandet und hat Gawain als Joseph Beuys herrichten lassen. Dem Kunst-Aktivisten der deutschen Szene der sechziger und siebziger Jahre wurde ja auch Grün-Sinn nachgesagt. Gawain also als unerschrockener „Ritter Beuys“ mit dem unverzichtbaren Homburg auf dem Kopf. Er stellt auf der Bühne allerlei Anordnungen aus dem Kunst-Ambulatorium nach, besonders umständlich die Installation mit Schlitten und VW-Bus („The Pack“) von 1971. Angespielt wird auf die Kunstaktion „wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“ (1965), und dann gibt es noch weitere krude Szenerien aus der Beuys’schen Bilderwelt, die hier den Grenzbereich zum Tanztheater streifen.

137Es wuselt jedenfalls in einem fort auf der Bühne, und je symbolistisch-ausgedünnter die Handlung im zweiten Akt wird, umso mehr Körpertheater setzt Alvis Hermanis ein. Was nicht annähernd gelingt: zu vermitteln, warum die gute alte Ritter-Bilderwelt durch eine solche aus neuen Naturkatastrophen, halb bewältigter Science fiction und gestriger Kunst-Avantgarde ersetzt ist. Das läuft jedenfalls alles neben der Musik her, Ton und Szene wollen einfach nicht zueinander finden, schon gar nicht zu einer Symbiose.

Nach dem letzten Ton sind gar nicht wenig Leute ganz rasch aufgebrochen. Die Mehrheit hat brav und rechtschaffen Beifall gespendet. Kein einziger Missfallenslaut gegen die Regie. Herzlicher Applaus für den 79jährigen Altmeister Harrison Birtwistle und seinen Librettisten David Harsent.

Weitere Aufführungen am 29. Juli, 2., 8. Und 15. August in der Felsenreitschule – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SFS / Ruth Walz