Rausch und Rituale

FESTSPIELE / NHK SYMPHONY ORCHESTRA / DUTOIT

26/08/13 Das Eliteorchester des japanischen Rundfunks Nippon Hoso Kyokai, das NHK Symphony Orchestra, geht auf das Jahr 1926 zurück und gastierte nun erstmals in Salzburg. Auch für den 77jährigen Ehrendirigenten und langjährigen Chef, den Schweizer mit amerikanisch-kanadischer Karriere, Charles Dutoit, war es ein Festspieldebüt.

Von Gottfried Franz Kasparek

236Maitre Dutoit war freilich schon 1994 bei der Kulturvereinigung zu Gast und musizierte schon damals mit dem Orchestre National de France eines seiner Lieblingswerke, die Symphonie fantastique von Hector Berlioz. Deren Noten lagen auch am Sonntag (25.8.) im Großen Festspielhaus nach der Pause auf den Pulten des Orchesters, welches übrigens tatsächlich nur aus Menschen aus Nippon besteht, eine Rarität im heute zumindest in Europa globalisierten Orchesterbetrieb.

Berlioz’ „Szenen aus dem Leben eines Künstlers“ verblüffen auch 183 Jahre nach ihrer Pariser Uraufführung noch mit ihrer Modernität. Vor allem, wenn ein Dirigent wie Dutoit die klanglichen Extreme und die harmonische Radikalität dieser Musik betont und schärft. Dabei kommt die Romantik in den ersten drei Sätzen nicht zu kurz. Liebesträume, Ballszene und versuchter Rückzug in ländliche Idyllen werden pointillistisch fein ausgemalt, vom in allen Bereichen hochkarätigen, technisch perfekten Orchester mit klanglicher Raffinesse serviert. Gang zum Richtplatz und Hexensabbat baut Dutoit als effektvolles „instrumentales Theater“ auf. Das knallt einem um die Ohren, ohne in Oberflächlichkeit abzustürzen.

235Die selbsttherapeutisch komponierten Rauschzustände des verliebten Berlioz – das Objekt seines Begehrens, das er im Traum ermordete, hat er übrigens später geheiratet – mögen eine gewisse dramaturgische Verbindung zum ersten, japanischen Teil des Konzerts darstellen. Das wär’s aber auch schon, denn Toru Takemitsu und Toshio Hosokawa sprechen doch eine ganz andere musikalische Sprache. Zu Takemitsus „November Steps“, 1967 für Leonard Bernstein geschrieben, nehmen zwei Solisten vor einander gleichsam spiegelnden Orchesterhälften Platz. Kakujo Nakamura ist ein Meister der japanischen Kurzhalslaute Biwa, deren Saiten mit einem großen Plektrum, einem Holzdreieck, geschlagen werden. Kaoru Karikazai ist ein vollendeter Beherrscher der Flöte Shakuhachi mit ihren vielen Naturlauten und Zwischentönen. Takemitsu, im berechtigten Zweifel über die Mischfähigkeiten der Klangwelten, lässt die Solisten über weite Strecken ihre mystischen, rituellen Tonfolgen spielen, nur manchmal gibt das westliche Orchester impressionistisch zart gesponnenes Garn dazu, mitunter hat es duftige Zwischenspiele zu liefern. Die zwölf „Steps“, Stufen, ursprünglich als „Wasserringe“ gedacht, führen in buddhistische Gedankenwelten.

Klanglich expansiver und in trauriger Realität von heute beheimatet ist Toshio Hosokawas neues, nun uraufgeführtes Werk „Klage“ auf Texte von Georg Trakl. Texte, deren abgrundtiefe Verzweiflung zu Beginn des 1. Weltkrieges auf erschütternde Bilder der Tsunami-Katastrophe trifft. Dass der erste Text, ein Brief von 1913, noch nicht den Krieg, sondern private, vielleicht inzestuöse Leiden des Dichters ausdrückt, ist dabei nicht von Belang – es geht um menschliche Klage an sich. Das Stück ist für die Sopranistin Anna Prohaska geschrieben. Deren eigentlich leichte lyrische Stimme ist sorgsam eingebettet in orchestrale Explosionen. Die Sängerin bleibt, sprechend oder bis in extreme Lagen aufopfernd singend, fast immer hörbar und verständlich. Eine attraktive, schmale Schamanin, die, wie von Hosokawa gewünscht, singend in Bereiche einer glasklaren Transzendenz eintritt.

Großer Erfolg in der nicht ganz vollen Felsenreitschule, der nach Berlioz mit Georges Bizets „Farandole“ glanzvoll belohnt wurde.

Bilder: SFS / Wolfgang Lienbacher