Fernsehoper? Gerne, wenn sie so gut ist

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL / LIVE AUS DEM HANGAR-7

27/08/13 Praktisch war das: Man konnte am Montag (26.8.) ab 25.15 Uhr am eigenen Computer sitzend „Entführung“ schauen. Flugzeuge und Nähmaschinen. Stoffballen und Schminktisch: Das Optische war - nach mehreren Vorbesichtigungen und Probenbesuchen im Hangar-7 – ja schon ziemlich bekannt.

Von Heidemarie Klabacher

245Neu war aus der Bildschirmperspektive der Blick in das elegante Innere der silber-blauen DC-6, die als zentrales Kulissenstück dient. Wir  entschuldigen uns hiermit ausdrücklich für den Gebrauch des Begriffes „Blechbomber“.

Von TV-Regisseur Felix Breisach brillant in Szene gesetzt wurde der architektonisch ja nun wirklich großartige Hangar-7. Bilder von 15 bis 18 Kameras (die Zahlenangaben divergieren), aus exponierten Positionen und Blickwinkeln aufgenommen und klug geschnitten, boten spannende Ausblicke, die nur auf dem Bildschirm zur Wirkung kommen konnten. Vor allem die vielen aus der Vogelperspektive aufgenommen Aufblicke auf die verschiedenen Schauplätze blieben den Besuchern „vor Ort“ verwehrt.

246Ein wenig als Voyeur hat man sich bei dem Ganzen auch gelegentlich gefühlt. Bei Konstanzes „Marternarie“ waren lauter ältere Herren im Hintergrund zu sehen: Sie konnten offensichtlich ebenfalls aus nächster Nähe beobachten, wie der Sängerin das zum bewegten Singen und zur körpernahen Live-Aufnahme denkbar ungeeignete Kostüm ständig über die Schulter rutschte. Die Herren lauschten freilich aufmerksam dem Gesang - im Gegensatz zu ein paar Damen gleich daneben, die während der für die Sängerin hoch anspruchsvollen Arie munter schwatzend ins Bild gerieten. Das dürften Ausrutscher gewesen sein. Meist sah man das Staffage-Publikum – mit Wein- oder Sektgläsern in der Hand – den Darstellern brav aus dem Weg gehen oder verlegen an den Kameras vorbeiblicken.

Den Hangar-8, ein paar hundert Meter vom Hauptschauplatz entfernt, wo die Camerata Salzburg unter der Leitung von Hans Graf den Orchesterpart spielte, hat man vor der Live-Übertragung aufgeräumt, Kisten, Kabelrollen und Krempel waren verschwunden, eine originelle aber elegant und warm ausgeleuchtete Konzertbühne war zu sehen.

247„Von Wollust triefend, so rein so fett.“ Der Bassa Selim hat das gesagt und es dürfte ein Ausdruck innerlich brodelnder Leidenschaft gewesen sein. Tobias Moretti in der Sprechrolle des Bassa hat mehrmals solchen Quatsch rezitieren müssen. Dazu hat er sich eines tief gelegten rauchig-brüchigen Whiskyreklame-Registers bedient oder mit heiserer Stimme gebrüllt. Tatsächlich sind die vollkommen überzeichneten Bassa-Passagen als einzige aus dem stimmigen und in seiner Stimmigkeit überzeugenden Konzept heraus gefallen.

Der Bassa Selim dieser TV-Entführung ist ein psychisch labiler Modeschöpfer. Die Konstanze dieser Lesart ist von dem schillerndem Egomanen und seinem ebenso schillernden Universum ebenso fasziniert wie abgestoßen.

248Aus dem Haremsaufseher Osmin ist der persönliche Assistent des Bassa Selim geworden, der seinen alternden Körper mit ständigem Fitnesstraining in Schuss hält. Belmonte erhält als „Parfumeur“ Zugang zum Yuppie-Reich des Bassa, Pedrillo ist generell umtriebig. Und die Blonde? Endlich wird in einer Entführung wieder einmal gebügelt! Erinnerungen an die skandalträchtige Herheim-Entführung wurden wach…

Regisseur Adrian Marthaler hat mit seiner Inszenierung offensichtlich niemanden brüskieren wollen. Er hat die Geschichte klug und stringent in ihrem trendigen Setting erzählt – ohne sie in ein neues Licht zu rücken und neue „Erkenntnisse“, aber eben stimmig und wirklich unterhaltsam. TV-Regisseur Breisach und Opern-Regisseur Marthaler haben „Fernstehenden“ einen niveauvollen und zugleich unterhaltsamen Zugang eröffnet.

249Und die Musik? Die Hauptsache?  Die Übertragung hat gut funktioniert. Von der Camerata Salzburg unter der Leitung von Hans Graf hörte man einen fein ziseliert gespielten, nuancenreichen Orchesterpart.

Ob wirklich immer alles – Gesang und Orchester – in der jeweiligen Sekunde „live“ zusammengeschnitten wurde oder man doch gelegentlich auch die fertige „Sicherheitsaufnahme“ eingespielt hat, wer könnte das sagen? Die sängerischen Leistungen waren jedenfalls überzeugend.

Wirkte Desirée Rancatore in ihrer ersten Arie stimmlich noch ein wenig hektisch, entwickelte sie eine sängerisch und vor allem auch darstellerisch überzeugende Konstanze. Javier Camarena bestach als Belmonte immer wieder mit betörendem tenoralem Schmelz. Rebecca Nelsen als dunkelhaarige Blonde ist ein quirrliges Energiebündel mit souveräner Ruhe im Gesang. Thomas Ebenstein hat als Pedrillo oft unnötig auf Lautstärke gesetzt. Und Kurt Rydl ist ein profund polternder Osmin.

Zu den Vorberichten Opernrealität mit Flugzeug
und Entführung als Event und Spektakel
Bilder: Servus TV / Andreas Kolarik