Tiefenbohrungen

FESTSPIELE / HAGEN QUARTETT / ZYKLUS 5-6

29/08/13 Sehnsucht und was sie stillt. Angst und was sie heilt: Alles, was Menschlich ist, ist in den Streichquartetten Ludwig van Beethovens Musik geworden. Das Hagen Quartett zeigt am Beispiel dieses Werkkomplexes, wie das Leben zu nehmen wäre - bei den Hörnern nämlich.

Von Heidemarie Klabacher

Das Hagen Quartett scheut weder Schroffheit noch Schönheit. Ohne Angst vor Schrammen, Blessuren oder schlimmerem stürzen sie sich ohne Seil und Haken in den starrenden Fels der Beethoven’schen Abgründe – um sich im nächsten Augenblick auf Engelsschwingen in dessen elysische Gefilde aufzuschwingen.

Die beiden letzten Abende im Zyklus der Gesamtaufführung der Streichquartette Beethovens waren ein atemberaubendes Resümee. Mit welcher technischen Brillanz sich das Hagen Quartett den Werken nähert, muss nicht weiter ausgeführt werden. Welche Einsichten sie zu vermitteln wissen, kann immer wieder nur bestaunt und bedankt werden.

Frage und Antwort, Verzweiflung und Trost - und alles dazwischen - lag allein etwa in den beiden ersten Akkorden Streichquartetts Nr. 9 C-Dur op. 59/3 „Rasumowsky“.

Atemberaubend ist es, wie sich die extremen – und oft extrem rasch wechselnden Gefühls- und Stimmungswechsel nicht nur der „späten“ Streichquartette Beethovens - in der Interpretation des Hagen Quartetts zum organischen Ganzen runden: Selbstverständlich, auf großen Entwicklungslinien und nachvollziehbar gemachten musikalischen Bögen erschließen die Mitglieder des Hagen Quartetts die komplexen Strukturen.

Es ist atemberaubend, wie locker, selbstverständlich und energiegeladen kleine und kleinste Motive mit größter Verve zur Entfaltung gebracht werden - und sei es jeweils nur für kostbare Augeblicke. Atemberaubend etwa die Vollblütigkeit, Opulenz und Farbigkeit im Ausmalen solch rasch wechselnder Launen im Schlusssatz von „Rasumowsky 3“.

Nicht weniger atemberaubend die überirdisch schillernde Traumverlorenheit in allen Phasen des formsprengenden Streichquartettes Nr. 14 cis-Moll op. 131 oder in der Cavatina des Streichquartetts Nr. 13 B-Dur op. 130: Bleibende Augenblicke.

Ebenso intensiv – wenn auch mit leichtem Frösteln - erinnert man sich aber auch an die fröhlichen Kapriolen im Scherzo des „frühen“ Streichquartettes Nr. 4 c-Moll op. 18/4 in dem der Kontrapunkt dem Notensetzer auf der Nase herumzutanzen scheint – um dann alles Leben in einem beängstigend modernen clusterartigen Akkord erstarren zu lassen.

Die Große Fuge B-Dur op. 133, die Beethovens Zeitgenossen so erschreckt hat, ist auch für den mit Zeitgenössischer Musik abgehärteten heutigen Hörer ein harter Brocken. Das Hagen Quartett hat es geschafft, auch diesem erratischen Block Struktur zu verleihen – ohne einfache „Zugänglichkeit“ zu suggerieren, ohne dem Monumentalwerk das Monumentale nehmen zu wollen. Aber man hat die Themen, Einsätze, Expositionen noch nie so fein säuberlich auseinandergedröselt vorgelegt bekommen. Und damit war auch der Blick frei auf die Schönheit der feinen - unter dem starrenden Fels gut verstecken – glänzenden Kristalle.

Bilder: SFS/Wolfgang Lienbacher