Vom Überleben als U-Boot

GESCHICHTE / NS-ZEIT

18/07/12 Unermüdlich forscht der Salzburger Historiker Gert Kerschbaumer nach den Schicksalen von Menschen in der NS-Zeit. Für die Ausstellung "Die Allee der Gerechten" ab morgen Mittwoch (19.7.) im Kurgarten über die Rettung von so genannten U-Booten – untergetauchten Jüdinnen und Juden – hat er einen kurzen historischen Abriss mit Bispielen aus Salzburg geschrieben.

Von Gert Kerschbaumer

Eine Jüdin, verheiratet mit einem Eisenbahner, der kein Jude war, überstand die Terrorjahre in Salzburg: Die Ehefrau Ludmilla Pippich, die ihrem jüdischen Glauben treu blieb, wurde 1962 auf dem jüdischen Friedhof in Aigen bestattet. Die übrigen Überlebenden in Salzburg waren christlich konvertierte Jüdinnen und Juden, darunter zwei Männer aus Wien, die unter dem NS-Regime mit Hilfe der Pfarrer Franz Zeiß und Franz Wesenauer in Salzburg untertauchen konnten und als „U-Boote“ durchkamen. Es gelang jedoch nicht allen Betroffenen der Nürnberger Rassengesetze, den Terror zu überleben.

Der Name einer im nationalsozialistischen Salzburg zu Tode gekommenen Frau steht zwar in den Shoah-Datenbanken, aber ohne Geburtsdatum und Hinweise auf die Hintergründe und Umstände, die zu ihrem gewaltbedingten Tod führten: Henriette Fleischmann, geboren am 4. Februar 1875 in Wien, eine Jüdin, die im Wiener Stadttempel getraut wurde und 1918 gemeinsam mit ihrem Ehemann Ministerialrat Julius Fleischmann zum katholischen Glauben konvertierte, lebte bis 29. Dezember 1942 in Wien: „unbekannt verzogen“ laut Vermerk im Wiener Melderegister. Zu diesem Zeitpunkt war sie bereits Witwe: Ihr Gatte starb am 12. September 1942 in Wien. Ihre ältere Tochter Elisabeth wurde am 9. Oktober 1942 nach Theresienstadt, von dort nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Gefährdet war auch die Witwe Henriette Fleischmann, obschon katholisch: Sie galt nach den Rassengesetzen als „Volljüdin“. Es gelang ihr aber mit Hilfe ihrer jüngeren Tochter Helene und ihres Schwiegersohnes Otto Karl Schwarz, eines Salzburgers, der kein Jude war, in Salzburg Unterschlupf zu finden. Die 67jährige Frau, die in ihrem Fluchtort nicht gemeldet sein wollte, um der ihr nach wie vor drohenden Deportation zu entgehen, hatte somit ein Leben voller Angst im Verborgenen – als „U-Boot“ – zu fristen. Als die psychisch belastete Frau annahm, von der Gestapo entdeckt zu werden, beging sie Suizid. Sie starb am 31. März 1943 im Landeskrankenhaus Salzburg, was allerdings amtlich registriert wurde. Ihrem Schwiegersohn, den die Behörden mehrmals zur Vorlage von Dokumenten der Verstorbenen aufforderten, gelang es aber, die „Abstammung“ seiner Schwiegermutter geschickt zu verschleiern, und dies vor allem zum Schutz seiner Ehefrau Helene, die ebenfalls in Salzburg lebte, als Katholikin registriert war und bei Bekanntwerden ihrer „Abstammung“ enttarnt worden wäre. Auch Otto Karl Schwarz, der seine Frau nicht verließ und nicht verriet, wäre gefährdet gewesen. Das Ehepaar überstand die Terrorjahre in Salzburg.

Gefährdet waren allerdings auch Betroffene durch die Nürnberger Rassengesetze, die in Salzburg amtlich gemeldet waren und deren „Abstammung“ in der Polizeimeldekartei aufschien: beispielsweise Valerie Bäumer, geborene Feix, in Wien evangelisch getauft. Ihre Eltern Ludwig und Ida Feix waren vom jüdischen zum evangelischen Glauben Augsburger Bekenntnis konvertiert. Ihre Tochter heiratete den Kunstmaler Eduard Bäumer, aus deren Ehe drei Kinder hervorgingen: Angelika, Michael und Bettina, das jüngste Kind 1940 geboren. Die Familie Bäumer wohnte im Haus Mönchsberg 18, das dem Ehepaar Magdalena, geborene Mautner von Markhof, und Alois Grasmayr gehörte. Auf der „Personenkarte“ Valerie Bäumers, die unter dem NS-Regime als „Jüdin“ galt, sind ihre drei Kinder eingetragen. In der Rubrik „Fortgezogen – am – nach“ steht der Vermerk: „23. 12. 44 [1944] Großarl lt. N.S.V. Liste“. „N.S.V.“ bedeutete „Nationalsozialistische Volkswohlfahrt“, die offensichtlich Listen mit Evakuierten aus dem bombengefährdeten Salzburg führte. Der Meldepolizei war jedenfalls der Aufenthalt der Familie Bäumer in Großarl bekannt. Daraus lässt sich nicht auf ein Leben im Verborgenen – als „U-Boot“ – schließen.

Es bestand aber weiterhin die Gefahr einer Verfolgung, denn bekanntlich ging am 14. Februar 1945, zwölf Wochen vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges, der „Sondertransport IV/15e“ vom Polizeigefängnis in Salzburg in das Konzentrationslager Theresienstadt. Die sieben Deportierten aus Salzburg, Sidonie God, Hilde Klein, Käthe Szufel, Olga Zweig, Friederike Schmidberger und ihre beiden Kinder Berta und Stanislaus, erlebten am 8. Mai 1945 die Befreiung Theresienstadts.

Die Wanderausstellung "Die Allee der Gerechten" ist von 19. Juli bis 3. August im Kurpark zu sehen. Neunzig Menschen gelten in Österreich als „Gerechte“, weil sie in schwierigster Zeit das Überleben von Juden ermöglichten. Morgen Mittwoch (19.7.) um 19 Uhr gibt es im ORF-Landesstudio ein Gespräch mit Angelica Bäumer, die von ihrem Überleben und ihrem Retter erzählt.  Auch „Fritz Rubin-Bittmann“ war U-Boot in Salzburg und ist am 2. August im ORF-Landesstudio zu Gast.
In der Lokwelt Freilassing ist von 6. Juli bis 26. August 2012 die Sonderausstellung "Sonderzüge in den Tod. Die Deportationen der Deutschen Reichsbahn" zu sehen. - Nähere Informationen unter: www.lokwelt.freilassing.de
Die bereits vierte einschlägige Vortragsreihe des Stadtarchivs in der TriBühne Lehen beginnt am 27. September. Zu dem Anlass wird auch der dritte Band der Reihe "Die Stadt Salzburg im Nationalsozialismus" vorgestellt. Er ist dem "Leben im Terror" gewidmet. - www.stadt-salzburg.at
Bilder: Haus für Stadtgeschichte