Mord und Totschlag vom Feinsten

UNIVERSITÄT MOZARTEUM / LA CLEMENZA DI TITO

02/02/21 Tito is incredible. Vitellia is the best. Und Bravi tutti! zum Schlussakkord. In Mozarts Titus gibt es nur Verlierer. Verlierer und Tote in der radikalen Lesart, die die Universität Mozarteum mitten im Lockdown auf die Bühne und via live-Stream zum Publikum brachte. Eine mitreißende Produktion.

Von Heidemarie Klabacher

„I would like to finally be in the audience and clap my hands in person... Bravo to everyone“, schrieb zum Schluss in der Livechat-Leiste ein Poster. Zwei Stunden lang war man begeistert am Bildschirm gesessen. Genauso begeistert, wie man in „analogen“ Tagen bei vorangegangenen Opernproduktionen mit anderen Menschen ringsum im Großen Studio des Mozarteums gesessen war.

Begeistert vom Szenischen: Am Mozarteum wurden schon immer mit knappen, stilsicher reduzierten ausstatterischen Mitteln die Bildwelten des jeweiligen Werkes vor Augen geführt ohne die Imagination außer Kraft zu setzen. Nun also beschwor Bühnenbildner Thorben Schumüller mit paar Stufen und hohen schmalen Wandelementen – perfekt für dramatische Beleuchtungseffekte – ein Kaiserforum des alten Rom. Er könnte aber genauso gut das Entree zum Glas- und Betonpalast einer international tätigen Investmentbank gemeint haben.

Die Intrigen und zwischenmenschlichen Katastrophen, die der Kaiser/chief executive officer mit seiner scheiternden (weil mit Taten der Vergangenheit nicht kompatiblen) Politik der Milde auslöst, sind überzeitlich. Regisseur Alexander von Pfeil zeichnet die handelnden Personen – von Kostümbildnerin Lisa Behensky zeitlos gewandet – konsequent als ebenso zeitlose Archetypen.

Begeistert vom Musikalischen: Unter der Leitung von Gernot Sahler spielte stilkundig, wendig, mit vorwärtsdrängender Ungeduld ein Kammerorchester der Universität Mozarteum. Der Gesamtsound transparent mit durchhörbaren und klar phrasieren Linien. Einzelne Soli, erwähnt sei das Bassetthorn zu Vitellias Arie Non più di fiori, klangvoll aufblühend.

Die jungen Sängerinnen und Sänger wirklich aller Partien lieferten souveräne Leistungen. Die Poster am Rande des Bildschirms hatten recht: Bravi tutti! Die Titelrolle gestaltete Daehwan Kim darstellerisch als Porträt eines Herrschers (ob über ein Kaiserreich oder ein Firmenimperium): als einen, dem das Image, das er sich selbst (oder sein Stabführer für Marketing ihm) zu verpassen sucht, über den Kopf wächst. Eine vielschichtige Figur, modern zerrissen. Der koreanische Tenor Daehwan Kim wusste die anspruchsvolle Partie stimmlich souverän zu gestalten, klanglich betörend, technisch hoch über den Ansprüchen stehend.

Perfekt geführte makellose junge Stimmen! Und das gilt für alle Partien: Martina Russomanno als Vitellia (die die ganze Intrige um Sestos versuchten Kaisermord ins Rollen bringt, weil Titus sie verschmäht). Veronika Loy als Servilia (Schwester Sestos, die der Kaiser, statt der Frau, die er wirklich liebt „erwählt“, welche ihrereseits einen anderen liebt, nämlich den Freund des Bruders). Vera Bitter in der zentralen Hosenrolle des Sesto. Inês Constantino als Annio. Taesung Kim als Publio und Johannes Hubmer in der kleinen Rolle des Lentulo: Bravi tutti!

La Clemenza ti Tito - der Stream unter livestream.com/unimozarteumsalzburg/tito21
Bilder: Stills aus dem Stream