O Wollust der Macht!

LANDESTHEATER / FELSENREITSCHULE / MACBETH

01/11/21 Man könnte Banco, der Macbeth als Untoter heimsucht, für einen tänzelnden Clown halten, wäre da nicht das blutverschmierte Gesicht. Verzweifelt reißt sich der König das Gewand vom Leib und versucht, den ihn äffenden Geist darunter zu begraben. Nun steht Macbeth freilich in Unterwäsche da. Er greift nach einem Teppich, um die Blöße zu verdecken.

Von Reinhard Kriechbaum

Eigentlich kann er einem leid tun, dieser Machtmensch auf der Verliererseite. Hätte er doch beizeiten vor den Hexen – sprich: den Einflüsterern von Herrschergelüsten – tunlichst die Ohren dicht gemacht. Und besser auch einer nicht geglaubt, die „Familie“ ist. In dem Fall sogar echte Familie, seine ehrgeizig ihn treibende Ehefrau.

Die politische Bühne ist ein ebenerdiger Kampfplatz mit morastigem Boden, durchzogen von Nebelschwaden. Da macht man sich Schuhe, Hände und weiße Weste schmutzig. Nein, keine Chats in WhatsApp-Türkis. So billig gibt’s Amélie Niermeyer, Regisseurin von Verdis Macbeth in der Felsenreitschule, nicht. Als sie zu proben begann, war Kurz außerdem noch Bundeskanzler und sein jäher Fall nicht unmittelbar vorhersehbar. Schön und bestätigend aber, dass einen dieser bildmächtigen Macbeth – nach Ariadne auf Naxos die zweite außerordentlich gut gelungene Musiktheaterproduktion des Landestheaters in der neuen Spielzeit – auf Schritt und Tritt über bedingungslosen Machtwillen und dessen problematische Folgen nachdenken lässt.

Macbeth ist jedes Mittel recht, um an die Macht zu kommen und an dieser zu bleiben. Im Unterschied zur „normalen“ politischen Welt, wie sie jüngst hierzulande ruchbar wurde, versucht's Macbeth gar nicht erst mit gelinderen Mitteln. Also: morden, was Not tut, denn nur „den Verstorbenen liegt nichts am Herrschen“.

Simon Neal ist dieser Macht-Streber, der nur zu gerne die Prophezeiungen der Hexen für bare Münze nimmt. Wir sehen ja schon während der Ouverture, dass Macbeth sich gerne im Scheinwerferlicht in Pose setzt. Er geriert sich bestenfalls als Pro-forma-Zauderer, wenn ihm die Lady wieder mal nahe legt, einen Widersacher beiseite zu räumen.

Durch diese Ausdrucksskala zwischen einem das Böse nur mühsam verbergenden Schurken und einem, der immer aggressiver wird, je mehr ihm die Handlungsfähigkeit entgleitet, vermittelt Simon Neal mehr als glaubwürdig und entspricht stimmlich genau dem, wass dem jungen Verdi für Macbeth vorschwebte: bloß kein blankpolierter Belcanto! Das löst auch Annemarie Kremer als Lady Macbeth ein, aber es blieb am Premierenabend anfangs ein wenig zweifelhaft, ob das nicht auch dem Riesenraum geschuldet war. Aber sie gewann rasch an Ausdruck und Stimm-Pointiertheit, und die Somnambulen-Szene war in ihrer eindringlichen Leisheit schließlich bezwingend.

Gerade, weil's so viel zu sehen gibt, die Musik zuerst: Den Operndirektor hat Covid-19 erwischt, so ist kurzfristig der Erste Kapellmeister des Landestheaters, Gabriel Venzago, eingesprungen. Klug und wohldosiert steuert er das Mozarteumorchester durch die Italianitá-gefärbte Schauerromantik, so durchsichtig, dass sich die Sängerinnen und Sänger immer wohl aufgehoben fühlen durften: Raimundas Juzuitis als Banco, Luke Sinclair als Macduff, Chong Sun als Malcolm, Olivia Cosío als Dama die Lady Macbeth. Sie wurde mit kapellmeisterlichen Tugenden bestens geführt. Es will etwas heißen, wenn Musik auch in einer Inszenierung mit einer Überfülle an starken Bildern die causa prima bleibt.

Amélie Niermeyer versteht ihr Handwerk, und so gelingt ihr fast die Quadratur des Kreises, indem sie wirkmächtige Bilder entwirft und zugleich den Hauptfiguren eine Kammerspielbühne bietet. Außer ein paar roten Rosen einziges Ausstattungsstück ist ein schwarzer Lederfauteuil, in dem Macbeth wohlweislich kaum einmal Platz nimmt – er würde darin versinken und ganz klein wirken.

Schaustoff in Überfülle, allein dieses Corps der Hexen! Es sind Einflüsterinnen und Einflüsterer, Drahtzieherinnen und Drahtzieher, falsche Macht-Bewunderinnen und -Bewunderer beiderlei Geschlechts. Wie im echten Leben. Sie legen den Dolch bereit und sorgen gleich am Anfang dafür, dass ein Eimer mit Wasser da steht – Händewaschen tut Not, wenn man sich in den Morast der Macht begibt und den Dolch in der Hand führt.

Die aus dem Leopoldskroner Moos herbei gekarrten zwanzig Tonnen Moorerde haben im Vorfeld Nachhaltigkeits-Apostel und Sparmeister irritiert, aber die Erde tut Wirkung. Die Bühne von Alexander Müller-Elmau blendet die Felsenreitschule aus. Der Raum wird an drei Seiten durch kupfern schimmernde Wände abgeschlossen, die dann doch nicht so undurchdringlich sind, wie sie wirken. Es gibt viele ganz schmale Türen, und die Hexenarmee verdrückt sich gelegentlich auch unter dem erhöhten Umgang vor den Wänden, scheint dann einzutauchen in die Erde. Ein bisserl Kletterei ist oft notwendig, und das ist ein schönes Symbol dafür, dass Macht etwas Abgehobenes ist. Abgehoben und zugleich runtergezogen auf die ebene Erde – auch eine hübsche Metaphorik.

Einmal tut freilich man des Guten zu viel: Am Übergang zum Schlussakt kommt plötzlich Video zum Einsatz und wir sehen, dass offensichtlich die Welt draußen in Schutt und Asche gelegt ist. Unnötig und eigentlich sogar störend, weil die Stärke der Inszenierung ist eben, dass Amélie Niermeyer der Geschichte ihre Schauerromantik lässt. Man versteht die latente Aktualität des Stoffes schon.

Chor und Extrachor sind darstellerisch ebenso gefordert wie die Statistenschar. Wie sich die Hofgesellschaft am Ende des zweiten Akts in Hexen zurückverwandelt, tut Effekt wie so vieles an dem Abend. Der Jubel des Premierenpublikums war groß. Für den Dirigenten und das szenische Team gibt’s zum Verbeugen Stiefel. Nicht alle Mächtigen müssen also im Morast waten – aber das wäre eine andere Geschichte...

Aufführungen bis 27. November in der Felsenreitschule – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Salzburger Landestheater / Anna-Maria Löffelberger