Die Zigeunerin und ihre Zirkusleut'

LANDESTHEATER / ZIRKUSZELT / CARMEN

21/05/22 Escamillo ist ein cooler Typ, starke Auftritte sind seine Spezialität, nicht nur im letzten Carmen-Akt, wo er als Wilder mit seiner Maschin' aufkreuzt. Im zweiten Akt hat er sich mit in einer Bärennummer eingeführt. Nicht als Bärentreiber – als Tanzbär!

Von Reinhard Kriechbaum

Aber bevor wir jetzt damit abmühen, nicht zuviel von dem zu verraten, was alles dem jungen Regisseur Andrea Bernard eingefallen ist für seine circensische Lesart der Carmen, holen wir den im Programmheft ultra-klein gedruckten Thomas Oeser und seine für den Ton verantwortliche Crew vor den Vorhang. Denn da ist eine Carmen-Produktion gelungen, die glatt vergessen macht, dass Oper nicht das einem Zirkuszelt genuine Medium ist. Am Premierenabend ist man letztlich doch unsanft aus dem schönen Schein der Oper in die Wirklichkeit der Meteorologie geholt worden. Künstler- und Publikumspech.

Jedenfalls ist die technische Perfektion und das Reaktionsvermögen der Menschen an den Schiebereglern zu bewundern. Ihnen gelingt es, das im Streichercorps klein besetzte Mozarteumorchester und die Sänger-Protagonisten bis in die kleinsten Partien akustisch auszubalancieren.Man könnte diese Aufführung, rein technisch-akustisch, einer ziemlich perfekten Studioproduktion gleichstellen.

Das macht sich besonders bezahlt, weil Gabriel Venzago am Pult für ein ganz charakteristisches Parlando auch unter den Instrumentalisten sorgt. Selten eine so konsequent „französische“, ganz und gar nicht pseudo-spanische Umsetzung der Carmen-Partitur vernommen. In diesem Umfeld fühlen sich die Sängerinnen und Sänger und wie es scheint auch der punktgenau reagierende und ebenfalls elektronisch perfekt ausbalancierte Chor (einstudiert von Cal Philipp Fromherz) so recht wohl. Das gilt gleichermaßen für Wolfgang Götz' Kinderchor.

Eine Carmen also im Zirkus- und Artistikmilieu. Schadet überhaupt nicht. Es ist ja völlig wurst, ob Carmen als Zigarettendreherin oder als Star einer Zirkustruppe den Männern den Kopf verdreht. Im Fall einer solchen Milieu-Anpassung ist's gut, auf diesonst übliche Übertitelung zu verzichten.

Dass Carmen genau dieser Escamillo mit Figur und Stimme von George Humphreys letztlich viel mehr bedeutet als der aufrichtige Sunnyboy Don Josè (trotz beachtlichgem Tenorschmelz), ist menschlich nur zu verständlich. Im übrigen zeigt die sorgsam gearbeitete Inszenierung von Andrea Bernard auch, dass Carmen keineswegs eine Femme fatale ist, sondern schon auch mit gewisser Mühe ihr Seelen- und Liebesleben zu ordnen versucht. Da ist also einiger Versimo drin im Einzelnen, was auch für die anderen Hauptrollen gilt.

Toll, dass man diese Zirkuszelt-Carmen fast komplett hauseigen und trotzdem typengerecht hat besetzen können. Der junge Regisseur hat seine Sängerinnen und Sänger ganz genau angeschaut, angehört und lässt sie ur-charakteristisch agieren. Wo findet sich schon ein Escamillo wie George Humphreys, ein Hüne, auf den man sogar eine Menschenpyramide aus norm-gewachsenen Artistinnen und Artisten aufsetzen kann! Wir verraten hier absichtlich ganz wenig, um künftigen Besucherinnen und Besuchern nicht die szenischen Überraschungen zu nehmen, die diese Aufführung auch zu einer außerordentlichen Schau-Lust machen.

Eine Artisten-Crew hat man gecastet. Sie ist immer präsent, sie nimmt nicht nur mit Jonglage, Bodenturnerei und mit Luft-Nummern für sich ein. Sie wird von Carlo Massari auch chorographisch ansehnlich gefordert. Die da ziemlich perfekt tanzen sind keine Balletttänzer, es sind Artisten. Sie sind mit gutem Timing in den vielen Orchesterzwischenspielen eingesetzt, und da sind ihre Nummern so präzis zur Musik erdacht, dass sie nie von ihr ablenken. So sind die Augen gut beschäftigt sind, aber die Ohren bleiben gespitzt.

Für die Titelrolle hat man einen Gast verpflichtet. Deniz Uzun, die demnächst ins Ensemble der Komischen Oper Berlin kommt, bringt nicht nur die nötige Ausdrucksstärke für die reisserischen Carmen-Nummern mit. Sie bringt Zwischentöne ein, minimiert damit alles Klischeehafte dieser Figur. Es ist eben nicht nur Don José – Luke Sinclair – hin und hergerissen zwischen dieser Carmen und Micaela, die Laura Incko mit exzellent verinnerlichter Lyrik ausstattet. Ein so fragiles Wesen in durch und durch rohem Umfeld, wo Zuniga (Raimundas Juzuitis) kurzerhand erstochen und aufgehängt wird...

Es lohnt auch, auf die Nebenrollen zu hören, auf die musikalisch gut durchgearbeiteten Ensembles der Schmuggler (Samuel Pantcheff, Franz Supper, Philipp Schöllhorn). Natürlich auch auf Haszel McBain und Olivia Cosío als Frasquita und Mercédès.

Wie Carmen schließlich ins Jenseits befördert wird? Überraschen lassen, das Finale hat Thrill! Und der Jubel nach der Premiere kannte fast keine Grenzen, zumal dieses Opernfinale am Premierenabend erst im dritten Anlauf geglückt ist. Aber das ist eine andere Geschichte.

Carmen – Aufführungen bis 15. Juni imTheaterzelt beim Messezentrum – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Salzburger Landestheater / Tobias Witzgall
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