Im Kerker der Seele

LANDESTHEATER / FARNACE

16/05/11 Zuerst meint man ja, endgültig dem größten Schweinehund der Operngeschichte begegnet zu sein. Dann aber stellt sich heraus: Dieser Farnace ist auch nur ein Gefangener innerer und äußerer Zwänge. Genau wie seine blutrünstige Schwiegermutter Berenice. “Farnace“ von Antonio Vivaldi hatte am Sonntag (15.5.) im Landestheater Premiere.

Von Heidemarie Klabacher

altEs war - von der ersten Minute an - eine werkgeschichtlich interessante, inhaltlich bewegende und interpretatorisch einfach mitreißende Erstbegegnung mit Vivaldis einst erfolgreichster Oper.

Christian Curnyn, Alte Musik-Experte aus England, führte das Mozarteumorchester im Graben des Landestheaters zum Triumph. Beredsamkeit, Verve und Energie, enger Kontakt zur Bühne, klangliche Brillanz der einzelnen Instrumentengruppe bei rundem Gesamtklang - auf solcher Basis lässt sich wunderbar singen. Die Mitglieder des Mozarteumorchesters haben unter Ivor Bolton schon oft mit „Alter Musik“ überzeugt. Mit diesem „Farnace“ aber haben sie sich als Originalklangorchester „geoutet“, das keinen Vergleich mit Spezialensembles ersten Ranges zu scheuen braucht.

altGefährlich schneidend klang das, wenn sie den König Farnace in seinem Wahn „Ich sterbe als freier König“ bestärkten oder die Königin Berenice in ihrem blutigen Hass. Liebevoll tändelnd, wenn Farnaces Schwester Selinda und ihre Verehrer zum Liebesgeflüster anhoben. Wie aus dem Schattenreich herauf wehte es dagegen, wenn Königin Tamiri ihren kleinen Sohn aus der Frontlinie zwischen dem Wahn ihres Ehemanns und dem Hass ihrer Mutter zu retten versuchte.

Uraufgeführt 1727, immer wieder nachgespielt in insgesamt sieben verschiedenen Fassungen in Prag, Mantua oder Treviso, geschrieben für den Karneval in Venedig,  ist Vivaldis „Farnace“ alles andere als eine heitere Oper.

König Farnace verlangt von seiner Frau Tamiri, sich und den gemeinsamen Sohn zu töten, bevor sie in Feindeshand fallen. Ja, es ist Krieg, irgendwo in Kleinasien, und „Rom“ steht vor den zerstörten Stadttoren. Berenice kommt gleichzeitig mit Heeresmacht aus dem Osten daher und will überhaupt Tochter, Schwiegersohn und Enkel tot sehen. Auch das nach bester Logik des Krieges und der Vergeltung: Farnaces Vater hat einst Ehemann und Sohn Berenices im Kampf erschlagen, und Farncae selber hat dann auch noch Berenices Tochter Tamiri geheiratet. So ist der Krieg auf die nächste und übernächste Generation über geschwappt …

altEine Parallelhandlung gibt es auch: Keineswegs Buffo-Gegenfiguren, aber in ihren offen gezeigten Gefühlen immerhin Menschen aus Fleisch und Blut, sind die Heerführer Gilade und Aquilio, die um die Liebe von Farnaces Schwester Selinda rittern. Selinda versucht, aus der Vernarrtheit der beiden Kapital bei der Rettung ihrer Angehörigen zu schlagen.

Bühnenbildner Hartmut Schörghofer hat sie alle in einen Bunker eingeschlossen. Kasematten, „Mordgruben“: viel mehr Kerker für die Seelen, den Schutzraum für die Körper. Dabei reichen wenige Lichteffekte - vor allem um Selinda und ihre Verehrer - um zu zeigen, wie leicht es wäre, aus diesem selbst gemachten Gefängnis herauszukommen. Aber es soll nicht sein. Während im Stück am Schluss „Rom“ ein Machtwort spricht und Frieden zwischen den verfeindeten Verwandten und dem entfremdeten Ehepaar diktiert (auch in der Musik blühen Rosen des Friedens), öffnet Regisseur Rudolf Frey einen letzten Höllenkreis…

altInsgesamt besticht die Regie von Rudolf Frey mit ihrer beinahe choreographischen Präzision, wenn etwa die Figuren für Augenblicke in Tableaus in der Bewegung erstarren, oder wenn kleinste Textpartikel aus den Arien für Sekunden „Bild“ werden. Man dürfe ein Kind nicht mit „Milch und Blut“ zum Hass großziehen singt Popeo, während einer der Statisten - unaufdringlich aber ständig präsente Kriegsflüchtlinge sind das - aus einer Schale Milch trinkt: ein Opfer eben jenes Hasses, der bereits über Generationen genährt wird. Solcher kleinster „Bilder“ gibt es viele. Geradezu beklemmend ist die stilisierte Selbstverstümmelung der von ihren eigenen Furien gejagten Berenice. Bewegende Bilder des Mitleids, unaufdringlich, ohne Kitsch, entwickelt Regisseur Rudolf Frey um die Königin Tamiri und ihren Sohn: die Mütter und die Kinder - die ewigen Opfer von Ruhm und Ehre und Rache.

Nicht weniger als das Mozarteumorchester unter Christian Curnyn begeisterten die Sängerinnen und Sänger. Die größte Überraschung bot Hubert Wild, den man erst jüngst als Leporello in Jacopo Spireis Don Giovanni-Inszenierung erleben konnte. Der Bariton debütierte in „Farnace“ mit der Rolle des römischen Feldherrn Pompeo am Landestheater als Countertenor! Hubert Wild begeisterte mit Strahlkraft und Wendigkeit. Er gebietet über eine Counter-Stimme ohne Schärfe in der nicht unbeträchtlichen Höhe, ohne jegliche Einbrüche in der Mittellage oder Tiefe, dafür mit sicher über die Lagen geführtem warmem und facettenreichem Timbre.

Aber auch die weiteren Ensemblemitglieder haben sängerische Spitzenleistungen im Alten Fach geboten: John Zuckermann, der Don Ottavio aus dem Don Giovanni, sang die Titelrolle. Perfekt passt seine klare und sicher geführte, aber nicht wirklich  bewegliche Stimme zu dieser verklemmten - in sich und den eigenen Zwängen vertrickten - Persönlichkeit. Karolina Plicková lehrt als Berenice nicht nur ihren Schwiegersohn das Fürchten. Julianne Borg in der Hosenrolle des Gilade und Simon Schnorr als Aquilio umgarnen brillant Prinzessin Selinda - um von Frances Pappas als Selinda so recht am Bändel geführt zu werden. Kammersängerin Frances Pappas, bereits als Donna Elvira zu Gast am Landestheater, und  Doreen Curran als Tamiri begeistern als Sängerinnen und Darstellerinnen von Format.

Aufführungen bis 9. Juni - www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Landestheater/Christian Schneider