Tanzen nach Fukushima?

ARGE KULTUR / SCHLUSS MIT KUNST

06/10/11 Wird Editta Braun gerade von der Midlife-Crisis durchgerüttelt? „27 Jahre politisch engagiertes Tanztheater – und was hat es gebracht?“, fragt sie jedenfalls in einer der ersten Szenen der neuen Produktion „Schluss mit Kunst“.

Von Reinhard Kriechbaum

Ja, was könnte es wirklich gebracht haben? Es wird, trotz klarer politischer Positionierung auf der Bühne, nicht weniger Müll auf der Erde. Es verhungern nicht weniger Kinder und es sterben nicht weniger Tierarten aus. Und das böse „Kapital“ macht sich immer noch mit „Werwolfshunger“ über uns her. Das hat Karl Marx so formuliert, und seither ist nun wirklich ganz viel und ganz engagiert Theater gespielt worden.

Ob Gedichte schreiben nach Auschwitz oder Tanztheater machen nach Fukushima: Es ist natürlich Käferkrabbelei, die künstlerisch befriedigt, aber die Welt nicht wirklich verändert. „Besser“ macht sie die Welt schon gar nicht. Und, wie Editta Braun auch sagt: „Die Katastrophen kommen schneller als wir arbeiten können.“

Aber man versucht’s, drum ist man Künstler(in), und nach 65 Minuten ist die Antwort eine beinah schnulzig-positive – die uns natürlich mit einer Nachdenk-Aufgabe im Kopf hinausschickt aus dem ARGE-Saal, wo „Schluss mit Kunst“ am Mittwoch (5.10.) aus der Taufe gehoben wurde.

Es wurde fleißig Katastrophenberichte aus Nachrichtensendungen zusammengeschnitten, Mahner und Kritiker á la Jean Ziegler kommen per Videoprojektion ausgiebig zu Wort. Eckdaten des Unvorstellbaren werden uns eingebläut – und dazu gibt es Tanz, der nicht im Illustrativen hängen bleibt, nicht auf eine bloße Bebilderung hinzielt, sondern sehr selbstbewusst seine eigene Ästhetik, seine Losgelöstheit vom konkreten Bild demonstriert.

Wie sollte man auch Überlegungen Jean Zieglers über die Landwirtschaft auf der Südhalbkugel und den ruinösen Einfluss von Firmen wie Nestlé pantomimisch/gestisch in den Griff kriegen? In dem Fall ist es ein Pas de trois, in dem die beiden Männer (Tomaž Simatovi?, Manel Salas Palau) die immer wieder fallende Tänzerin Špela Vodeb auffangen, wie spontan und scheinbar im letzten Moment. In solchen (und vielen anderen) Tanz-Episoden offenbart sich, dass tänzerische Kompetenz und phantasievolle Choreographie bei allem politischen Engagement nicht auf der Strecke bleiben. Ein Tanz-Solo mit einem auf Megaphonen erzeugten perkussiven Akustik-Teppich, eine Szene, die uns das Tier-Bändigen als einen Zweikampf mit ungewissem Ausgang offeriert: Da ist die tanzkünstlerische Aussage relevanter als die politische Botschaft (die im Video zwangsläufig sehr plakativ und in eher in Sprechblasen daherkommt).

Wäre angesichts der Übervölkerung ein „Winterschlaf-System“ eine Lösung? Da muss man schmunzeln. Hingegen überkommt einen die Gänsehaut, wenn die Rede ist davon, den Menschen radikal auszulöschen zugunsten von Panda oder Orang-Utan. Zuletzt wird das „Last piece of earth“ amerikanisch versteigert, aber zum Schleuderpreis, nämlich in Form einer Auktion mit immer geringer Summe. Man landet bei ein paar Cent.

Weitere Aufführungen von „Schluss mit Kunst“: 6., 7.10., jeweils 20.30 Uhr in der ARGEkultur. - www.editta-braun.com
Der tanz_house herbst_2011 dauert bis 14. Oktober. - www.tanzhouse.at
Bilder: Murillo Bobadilla (2); Editta Braun (1)