LANDESTHEATER / DON GIOVANNI

21/09/25 Einfallsreich ist er, das muss man Don Giovanni lassen. Für die Canzonetta Deh, vieni alla finestra krallt er sich einen Straßenmusikanten, wirft eine Münze in den Fernsprecher und schmachtet die Dame, die zu sehen Mozart/Da Ponte ihm und uns ja leider vorenthalten, telefonisch an.

Von Reinhard Kriechbaum

Der Münzapparat-telefonierende Don Giovanni steigert sich so hinein in seine Liebesbeteuerung an die Unbekannte, dass er dem Mandolinenspieler selbstvergessen sogar die Hand aufs Knie legt. Das ist wahre Leidenschaft eines Womanizers!

A propos Womanizer: Assoziationen zu den Umtrieben des Jeffrey Epstein sind möglich und wohl auch erwünscht von der Regisseurin Alexandra Liedke. Sie siedelt den neuen Don Giovanni im Salzburger Landestheater in den 1980er Jahren an. Er ist Besitzer und Testosteron-Zentrum in einem Etablissement, auf dem eine Leuchtschrift verkündet: „Not just a Club.“ Nein,wirklich nicht. An allen Ecken geht’s den Frauenzimmern an die Wäsche, der omnipräsente Hausherr holt sich sozuagen die Filetstückchen. Würde der Komtur, der auf einem Barhocker aus der Unterwelt rauffährt, nicht für Don Giovannis Herztod sorgen (nichts da mit leiblicher Höllenfahrt!) – der Verführer geriete in unseren woken Jahrzehnten gewiss mal in den Shitstorm von Social Media und landete wohl vor Gericht.

Aber so weit sind wir zeitlich und ideologisch eben noch nicht in Alexandra Liedkes grandios spielerischem, pointenreichen Unsittenbild. Um Zerlina doch noch rumzukriegen, krallt sich der situationselastische Don Giovanni ein Blumenbouquet, das mitsamt Grabkerzen in einer Mauernische vor der Büste des Komturs steht. Noch ärger: Der Kerl schnappt dann auch die Büste, stellt sie auf einen Hocker und improvisiert ein Festgelage an einem zum Tisch umfunktioniereten Notenpult. Er, der zitternde Leporello und die Komtur-Büste – eine frivole Menage à trois, die selbst dem Oberteufel das Lachen austreiben würde.

In dieser Finalszene zeigt das Mozarteumorchester unter der Leitung von Carlo Benedetto Cimento nochmal, was es an Power drauf hat. Schon zuvor hat Cimento, der sich aufs Klangrednerische versteht, die Musiker so recht wachgekitzelt. Ihre quirligen Statements haben dafür gesorgt, dass wir drei Stunden lang viele subkutane Botschaften mitbekommen haben, wie Mozart sie eben in die Partitur geschrieben hat. Was da also fluscht und perlt, hat auch Tiefe und Zwischentöne. Chapeau!

Mit Auftauchen des Komturs also nochmal ein Aufdrehen. Leider hat Lukasz Konieczny dann zwar rhetorisch etwas anzubieten, aber nicht wirklich das nötige stimmliche Volumen, um überzeugend rüber zu kommen.

Das ist schade, denn die sonst ausschließlich aus hauseigenen Kräften besetzte Sängergruppe löst ein, was der Intendant bei seiner Begrüßung versprochen hat: Es ist ein Mozart-Ensemble, und zwar ein sehr gleichgewichtiges und eines so gut wie ohne Schwächen (abgesehen vielleicht von Luke Sinclair, der als Don Ottavio am Premierenabend die Intonation zeitweise nicht auf seiner Seite hatte).

George Humphreys und Daniele Macciantelli als Giovanni und Leporello – was für ein Gewinnerteam am absteigenden Ast! Nicht nur, dass sie im sängerischen Miteinander so vertraut wirken wie ein altes Ehepaar, das die Bedürfnisse und Macken des anderen verinnerlicht hat. Die beiden schenken einander nichts, jeder der beiden ist aber auch auf die Millisekunde genau zur Stelle mit den richtigen Worten. Die beiden sehen auch staturmäßig gleich aus. Sie können ihr Gewand tauschen, ohne dass es lächerlich aussieht. Donna Elvira fällt wohl wirklich auf den Doppelgänger rein – in dieser Inszenierung übrigens eine Karaoke-Nummer der Sonderklasse.

George Humphreys ist in der Titelrolle im übrigen nicht nur ein Fiesling. Immer wieder setzt er zu Kantilenen an, die so fein klingen, als ob dieser Don Giovanni bis in die schwärzesten Seelenabgründe hinein selbst an die Aufrichtigkeit seiner Liebesbeteuerungen glaubt. Leporello ist wiederum ein Alter Ego seines Herrn. Die Erzschurkerei hat er beim Meister von der Pike auf gelernt.

Weil im Landestheater, dem von der Dimension her geeignetsten „Haus für Mozart“ am Ort, auch das Feine im Orchester recht wirkmächtig daher kommt, brauchen sich die Vokalisten emotional nicht zurück zu halten. Das gilt vor allem auch für die Frauen, die alle drei sehr individuell, etwas abseits von gewohnten Rollenbildern gezeichnet sind.

Enorm aufgewertet die Donna Elvira. Katie Coventry gibt ihr einen jugendlichen-temperamentvollen Touch. Das ist also keine alternde Frustwuchtel, sondern eine junge Frau, die sich wohl wirklich zutraut, „ihren“ Don Giovanni noch moralisch auf Schiene zu bringen. Entsprechend differenziert ihre sängerischen Statements. Hazel McBain ist hingegen eine stimmlich gar nicht mehr soubrettenhafte, gereifte Zerlina. Kein Opfer des Schwerenöters, sondern eine kluge Braut, vielleicht sogar mit Erfahrung, die im Kopf wohl abwägt, mit wem sie auf lange Sicht besser fährt. Natürlich mit Masetto (Yevheniy Kapitula), der stimmlich elegant so gar nicht dem Bauerntölpel-Image entspricht. Ein herrlicher Regieeinfall übrigens, wenn Zerlina ihr manipulatives Battì, battì an der Tür zur Herrentoilette singt. Welcher Mann würde da nicht schwach und milde gestimmt? Bleibt Nicole Lubinger als Donna Anna, die mit vokaler Präsenz eine Verwandlung von schwer zu zähmender Leidenschaft zur seelischen Verhärtung glaubhaft vermittelt.

Mario El Fakih hat den Chor einstudiert, der musikalisch punktgenau zur Stelle ist und auch schauspielerisch gefordert wird im zweifelhaften Etablissement des Herrn Giovanni, der auch rasch mal den Revolver zieht.

Aufführungen bis 4. Jänner 2026 – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Salzburger Landestheater / Christian Krautzberger