SOMMERSZENE / DORIS UHLICH
17/06/25 Downstairs unterwegs nach oben. Die Tänzerin Doris Uhlich performt vom Wasserturm herunter auf die Terrasse hinein Stiegenhaus aus Glas und Beton. Ein gestuftes Event im Museum der Moderne bei der Sommerszene.
Von Erhard Petzel
Tatsächlich startet Doris Uhlich als schwarzes, schwingen-schlagendes Reptiloid in den höchsten Zinnen des Amelie-Redlich-Turms. Wie ein Speier-Drache von Notre Dame hängt sie auf dem Mauerwerk, von dem bald auch Rauchschwaden in den Farben der Trikolore aufsteigen. Oder ein Totenvogel in Zeiten russischer Zerstörungswut? Schwebend abgeseilt von des Wasserturms Balkon wird sie entkabelt und flügelt sich weiter zu einer Pawlatschenbühne auf der Skulpturenterrasse. Die wird Grundlage für Absturz und Wiederaufraffen, bis die Flucht über die Grenzmauer ins Museum angetreten wird. In insgesamt vier Etappen arbeitet sich Uhlich drei Stiegenhäuser hoch. Wir folgen bereitwillig.
Jeder Stations- ist mit einem Kostümwechsel verbunden. Auf schwarz folgt silbern, einem in feurigem Abendrot ausgeleuchteten Stiegenhaus folgt orange, bis schließlich die nackte Tänzerin mit einem tief blauen Samtmantel posiert. Unwillkürlich denkt der westliche Abendmensch an einen Zusammenhang mit vier Elementen, der aber letztlich doch etwas konstruiert erscheint. Auch wenn dem Anfang durch die Luft ein Feuerabend folgt, der Beton des Stiegenhauses als harter Boden einer versuchten Erde gesehen werden könnte und zum blauen Mantel sich ein Urinal als bedeutungschwangeres Requisit gesellt.
In der Silberphase kommt Uhlich aus dem Liegen in ein intensives Zeitlupen-Abrollen mit durchaus animalisch anmutender Intimität zum Beton (noch dazu, da man in der eingespielten Stimme die Wortfolge „bist du schlecht“ wahrnimmt). Das Stufenspiel gewinnt eine weitere Ebene, wenn sie sich zwei Treppenarme verpasst und damit zwischen geflügeltem Treppeloid und Treppen-Metapher performt. In Orange wird geschüttelt und gehupft, im Großschritt die Treppe durchmessen und der Boden gedrückt. Da kommen auch zwei Gäste zum Einsatz. Sobald Doris Uhlich das Treppenhaus geräumt hat, durchmisst dieses Chris Bacher im großspurigen Parcours-Schritt und geht mit der über ihm auf der Brücke agierenden Performerin eine Hiphop-Partnerschaft ein. Dessen nicht genug, rumpelt Stefanie Keuschnig mit ihrem Bike zweimal auf das Publikum zu die Treppe herunter. Auf Star-Wars-Ebene wird die exorbitante Form des Helms später eine Steigerung finden.
Das nackte Finale bietet dann sinnliches Futter für das Gehirn. Tastet sich Uhlich zu schwebenden Klaviertönen vorsichtig abwärts Richtung ausgebreitetem blauem Mantel, bleibt sie auf der Strecke sitzen, liegen. Klatschspiele mit den Schenkelunterseiten, aus dem Kreuz, Schenkelaußenseiten. Im Mantel schwingende Koketterie bis zum bequem liegenden Bildmotiv. Zu abwärts geführten Pizzicato-Klängen geht sie mit einem Urinal schwanger. Das verquere Symbol für Empfängnis und Ausfluss wandert vom Bauchteil auf den Kopf, wo es frappant an den Helm der Bikerin erinnert, und landet schließlich auf dem Fuß. Als eine Art Schuh? Als Fuß-Pose der Siegerin? Putzdienst Bacher fährt am oberen Treppenabsatz mit einer Nebeltonne auf, die eine Trockeneis-Lawine bis über das Publikum ergießt. Mit dem Mantel fällt der imaginäre Vorhang.
Boris Kopeinig schafft auf allen Ebenen einen klanglichen Untergrund, der dem Verlauf von Bewegung viel Freiraum lässt, aber doch kräftige Impulse setzt. Da mischt er eigene Synthesizer-Improvisation mit automatisierten Programmen und agiert als DJ. Auf diese Weise entsteht ein breites Spektrum an mehr oder weniger diffusen Klangflächen bis zu rhythmisch eng getakteten Beats. Das unterstützt eine choreografisch elegant entwickelte Dramaturgie mit einem geschickt abgestimmten Maß an Abwechslung.
Das Publikum am Montag (16.6.) reagierte begeistert und nahm wohl oder übel gelassen zur Kenntnis, dass der Aufzug in die Stadt hinunter nicht mehr bedient wurde. Ein Abstieg als allgemeines körperliches Engagement nach kultureller Bewegung bei angenehmen Wetter – nichts Schlimmeres soll uns geschehen.