SOMMERSZENE / OBLIVIA

23/06/25 Die finnische Gruppe Oblivia will mit Musik, Text und Bewegung den „Urknall der Realität“ einbringen und in ihrer Performance suggerieren, was man sich so alles denken kann. Zum Teil dann auch sein Teil. Jedenfalls haben sich die da draußen ihren Spaß gebaut.

Von Erhard Petzel

Nach dem Einlass gibt es in der ARGEkultur schon einmal ein Still-Leben zur Einstimmung ins Kommende. Im Anfang aber ward das Blackout. Eines Schweinwerfers schneidende Lichtbahn erfasst ein kuderndes Huhnwesen in zart gluckender Konvulsion. Grummelnd schiebt sich ein Bodenkriecher von links über die Bühne, während ein weißer Queer großteils starr vornübergebeugt abhängt. Da aber Bewegung immer animiert, schiebt sich bald ein buntes Quartett durch den Plan, während die Klangtupfen eines Litophons und ein anschwellendes Brausen eingespielt werden. Die vier kriechen schließlich zum weißen Queer zum Kuscheln. Körperwellen zu des Synthis Schallwellen, bis der weiße Queer die Gruppe nach vorne verlässt Richtung durch Mikrophone imaginierter Höhle.

Das wird ihm nicht gut bekommen, sind die tückischen Fallen doch die unvermuteten. Denn ihm folgt die Percussionistin der Formation, um sich an ihm zu verhandgreiflichen. Wirkt Beklatschen des Rückens noch positiv massagemäßig, ist es am kahlen Kopf schon peinlich. Der Dulder hat wohl seine Bibelstunden absolviert, hält er doch nach den geschlagenen Brüsten auch noch den Bauch hin. Das und seine Wehlaute werden im Publikum mit hämischem Kichern bedacht, dessen hohes Frequenzspektrum geschlechtsmäßig eindeutig zuzuordnen ist. Wenn sich Geschichte so rächt, läuft die feministische Selbstfindung allerdings Gefahr der intellektuellen Verortung im rohen Untergrund altbackener Comedy.

Wenn sich Geschichte freilich rächt, läuft die feministische Selbstfindung allerdings Gefahr der intellektuellen Verortung im rohen Untergrund altbackener Comedy. Klanglich ist das Ergebnis beeindruckend, moralisch vielleicht als Strafaktion männlicher Hybris, im Kleidchen Bauch zu zeigen, wenn Schwangerschaft kein Thema.

Koderl tatschen geht über in Zähneklappern, bis die Percussionistin Nagisa Shibata zu ihrer Instrumentenstation stapft, mit dem Finger die Wange ploppend. Ausgangspunkt für das erste Textostinato: Take your thumb out of the mouth. Dazu und damit wird variiert und improvisiert, bis der Text schließlich verrottet auseinanderfällt. Die Musik nimmt an Fahrt auf, bis alle zur Disco hüpfen. Paarweise kommt es zum Beziehungsringen, Ensembles gruppieren sich um und üben sich in Gesang und Botschaft, Stimmungen und Haltungen wechseln gemächlich. Wie Übergänge und Szenen mit Zeit nicht geizen und die Entwicklungen generell entschleunigt heranwachsen.

Unter Annika Tudeer und Timo Frederiksson wurden die Ideen kollektiv geboren und gemeinsam mit Anna-Maija Terävä und Juha Valkeapää ausgearbeitet. Für die Musik wurde die Komponistin Yiran Zhao gewonnen. Tua Helve verantwortet das abwechslungsreiche Design der Kostüme.

In der Koordinaten-Anordnung von Squaredance entwickeln sich Synchronismen bei Yes-Sagern, bis sich das No durchsetzt und die Dynamik im Mitsummen zu den Synthi-Akkorden ausläuft. Nach etlichen gescheiten Texten genügt ein Ensembleerlebnis im Oum-Mantra, zu dem man letztlich ins Liegen kommt, Glissandi fahren durch die Klangwolken aus Loops von Synthesizern bis zum menschlich gequälten Luftballon. Ein angesagtes Programm zum Heroismus ist durch Echo entstellt, ein Wirbel mit Sticks auf einer Kalebasse peitscht Posen, bis die Männer wieder das Absingen von Mantras aufnehmen und die Damen sich ineinander verschränken. Das gemeinsame Ziel ist erreicht, wenn sich alle auf die Brust klopfen zum gemeinsamen Riff: Here now. Das geht symbolisch natürlich ans Herz. Ein letztes Crescendo schließt den Kreis und endet im Dark.

Das Spiel mit Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft ist im Entstehungsprozess für die Mitglieder von Oblivia naturgemäß präsenter als für jemanden, der sieht und hört und sich seinen Teil so recht eigenständig denken kann. Wahrscheinlich spielt das auch keine Rolle. Man kann sich wie ein Kind einfach auf die Schau einlassen und annehmen, was auf einen einwirkt. Der Untertitel Turn Turtle Turn 2 klingt auf jeden Fall gut und erfüllt das Anfangsbild mit assoziativem Inhalt. Jedenfalls haben sich die da draußen ihren Spaß gebaut und hoffen auf ein motiviertes Publikum, das sich dafür seinen Teil danken darf. Im Applaus kommen alle zusammen.

Bilder: Szene Salzburg / Wolfgang Lienbacher