Ein karger Ort, Clubsessel, als einziger Blickfang eine üppig mit klassischen Tulpen bestückte Bodenvase am rechten Bühnenrand - ihre große Stunde wird noch kommen. Sich höflich vortastend, Komplimente austauschend nähert man sich dem Thema: Man hat sich eingefunden, um die Folgen des Knabenstreites zwischen den Söhnen der Elternpaare, in dessen Verlauf Ferdinand, Sohn der Reilles im Eifer des Gefechtes seinem gleichaltrigen Kämpfer zwei Vorderzähne ausgeschlagen hat. Nun spielt sich zwischen den Ehepaaren ein vergleichbares „Duell“ mit intellektuellen Waffen ab.
Das Publikum, zunächst noch komplizenhaft verstehend lachend, wird Zeuge von Szenen, bei denen zunehmend das Lachen im Hals steckenbleibt. In diesem Sittenbild unserer nach außen hin vernunftgesteuerten Gesellschaft zeigen sich Schwachstellen einer zwar aufgeklärten, doch von außen gelenkten und von innen her sich erst zögerlich entwickelnden Norm-Sozietät.
Da ist die alles verstehende, liebevoll besorgte, ihr Kind in jedem Fall verteidigende Mutter. Sie hat ihre Lektion - die Psychologie der Kinderseele betreffend - mit Auszeichnung absolviert. Nicht nur das, sie kümmert sich gleichzeitig um die großen Probleme der Welt und erzieht nebenbei auch ihren Ehemann.
Die Autorin ist bemüht, die sich „fehlverhaltenden“ Väter, die sich weder Zeit nehmen für ihre Kinder noch sich mit Lust und Freude um ihre Sprösslinge kümmern, aufzudecken. Freilich darf auch die alles bis zur Verleugnung und bis zum Zusammenbruch erduldende Ehefrau im Klischeebild nicht fehlen. Soweit von außen her gesehen.
Im Laufe des voranschreitenden Zusammenbruchs aller beteiligten Personen verändern sich neuerlich die Blickwinkel. Die mühsam aufrecht erhaltene Fassade bricht in sich zusammen und kulminiert in der Zerstückelung des Tulpenstrauchs.
Die französische Dramatikerin Jasmina Reza schrieb ein zeitgemäßes Stück. Die aktuelle Inszenierung spiegelt gekonnt das zwiespältige Verhalten der Gesellschaft: Wir frönen dem dem Hohelied der „Aufklärung“ und stellen es zugleich in Frage.
Bilder: Kleines Theater / Christoph Strom