Seelenpein und Poesie

KLEINES THEATER / BESUCHSZEIT

03/10/17 Das Mitleid mit denen „drinnen“ und das Mitleid mit denen „draußen“ wandern hin und her mit jedem Satz. Die bleischwere Realität wäre schwer zu verkraften, wären da nicht der federleichte Text, zwei hervorragende Schauspielerinnen – und ein Akkordeon.

Von Heidemarie Klabacher

„Brav aufessen, Oma, sonst gibt’s kein Kompott… Was brauch ich ein Kompott.“ Ein schrulliges Leitmotiv zieht sich, boshaft gekeift, durch den ersten der drei Einakter von Felix Mitterers „Besuchszeit“.

Die Schwiegertochter besucht – „Ich hab leider nicht viel Zeit – die Schwiegermutter im Altersheim. Mit viel bösem Witz erzählt die alte Dame von den freundlichen asiatischen Pflegerinnen, „die ehren die Ahnen“. Vom Heimessen, „es ist halt ein Fraß“. Oder vom Mitbewohner, dem alten Nazi, der vor lauter schlechtem Gewissen jeden Tag im Heim-Gottesdienst ministriert. Ihn warnt sie vor den „Spritzen“ der Pflegerinnen: „Was haben unsere Soldaten zu suchen gehabt in fremden Ländern. Jetzt pflanz ich ihn mit der Euthanasie…“

Wie kann man die schlagfertige alte Dame nur ins Altersheim stecken, fragt man sich – bis die „Ausreißer“ aus dem Heim oder der Beschwerdebrief an den Bundesspräsidenten zur Sprache kommen. Freilich ist sie nur durchgegangen, um vor dem Gartenzaun „daheim“ zu stehen und zu schauen, „ob die Jackie mich spürt“. Doch die Jackie hat man eingeschläfert…

Mit viel Gespürt und noch mehr feinem Witz, der die unerträglichen Realitäten ins beinahe Poetische distanziert, entfaltet Felix Mitterer mit den drei Einaktern von „Besuchszeit“ ein Panopitkum menschlicher Befindlichkeit auf der Schattenseite.

In der Regie von Hanspeter Horner brillieren Anita Köchl und Doris Kirschhofer. Anita Köchl spielt die „Alten“ mit staunenswerter Wandlungsfähigkeit. Im Gefängnis spricht Anita Köchl – die Antworten kommen vom Band – den Monolog einer Ehefrau, die nach langer liebloser Ehe irgendwann beim Abendessen auf den Mann eingestochen hat.

Liebling aller, trotz der schlagfertigen Oma, ist wohl der alte Vater in der Psychiatrie, der eigentlich nichts getan hat, außer achthundert Meter Autobahn zu „düngen“. Zuvor hat zuvor ihm der Schwiegersohn den Erbhof abgeschwatzt, in ein Hotel umgebaut, die Felder zubetoniert - und alles zusammen den Geldbach runter geschickt.

Auch so eine Story, wie sie sich überall und täglich in schönen Heimatlanden und heilen Hoteliersfamilien abspielen kann: „Wia in an Heimatfilm. Da machens auf ländlich und dann schenkens Heineken aus...“ Besonders in diesem Einakter kommt die Musik von Doris Kirschhofer zu geradezu bildhafter Wirkung. Die volksliedhaften Songs, die nicht nur in angedeuteten Jodlern immer wieder in ganz und gar lederhosenkulturfremden Obertongesang kippen, entfalten eine ganz eigenwillige Stimmung zwischen Alpenglühen und auftauendem Permafrost, sprich Katastrophe.

Als Darstellerin spielt Doris Kirschhofer mit genau der richtigen Dosis schlechtem Gewissen und Rechtfertigungsdruck die Jungen bzw. schärft als Schwarzer Mann die Gefängnisszene mit einer unheimlichen Schatten-Pantomime. Vor allem aber singt Doris Kirschhofer immer wieder zur eigenen Akkordeonbegleitung – so selbstverständlich, als wären Obertongesang und Stimmakrobatik gängige Kommunikationsmittel.

Besuchszeit – Aufführungen im Kleinen Theater bis 28. Dezember jeweils um 20 Uhr - www.kleinestheater.at  
Bilder: Stills aus dem Trailer auf www.kleinestheater.at