Innenseiten

SCHAUSPIELHAUS / NEBENBEI

23/11/18 „Zweimal auf die Decke klopfen, das ist das Signal, das heißt: Verstecken!“ In dem historischen Kammerspiel Nebenbei erzählt Barbara Derkow Disselbeck eine dramatische Lagerfeuergeschichte, bei der die Erzählende selbst im Feuer sitzt.

Von Franz Jäger-Waldau

Miriam kann singen. Miriam wünscht sich eine Karriere als Kabarettsängerin. Miriam wird engagiert. Miriam ist jüdisch. Miriam lebt im nationalsozialistisch infizierten Berlin zu Kriegsbeginn.

Das im Schauspielhaus inszenierte Kammerspiel Nebenbei erinnert sich an die Leiden der jüdischen Bevölkerung am Zenit der antisemitischen Tollwut Deutschlands. Miriams Familie ist noch rechtzeitig entkommen, aber sie selbst treibt die Hetze von der Bühne hinab in den Keller ihres Liebhabers.

Als Doppelfigur ist Miriam aus einer alten und einer jungen Teilrolle zusammengesetzt: Die ältere Miriam (Daniela Enzi) denkt an die Zeit ihrer späten Jugend zurück, ein Erwachsenwerden unter der Erde, ein Exil inmitten der Verfolger. Die jüngere Miriam (Larissa Enzi) erlebt all diese Eindrücke von Neuem und verwirklicht dabei auf der Bühne, was ihr vom Leben geschwächtes Pendant nur noch in Gedanken wagt. Nebenbei stellt Nebenbei die Sicht auf das Schicksal des Individuums scharf, welches eine wesentliche ontologische Kränkung erfahren muss: Im Gefüge der Gleichschaltung ist sein (Über-)Leben nicht mehr von ihm selbst bestimmbar, sondern von den äußeren Konstellationen abhängig. „Wenn dieser Krieg je vorbei sein wird, werde ich alt, hässlich und verschrumpelt sein.“ Die Faszination von Nebenbei liegt dabei in seiner Absicht, erstmals diejenigen Menschen selbst reden zu lassen, über die gemeinhin nur geredet wird.

Dabei hat die Inszenierung allerdings mit einem formal zähen Theatertext zu kämpfen: Die Handlung findet nicht auf der Bühne statt, sondern wird von den beiden „Miriams“ prosaisch vorgetragen. Eine Technik, die dazu verleitet, dass beide Darstellerinnen über lange Strecken unbeweglich zum Publikum monologisieren, was wiederum spätestens nach einer halben Stunde die Spannung einfallen lässt. Die Darstellung retardiert an dieser Stelle zu einer Art Hörspiel, wobei ein echtes Hörspiel zumindest der individuellen Vorstellung den Raum des Sichtbaren freilässt, während ein Vortrag auf der Bühne diesen Raum für sich selbst einnimmt. Zum Finale hin müssen Teile des Publikums deutlich wieder aus ihrer Starre erweckt werden.

Allerdings werden solche Leerläufe von überraschend gut performierten Gesangseinlagen abgewechselt, die sich nicht auf Einspielungen verlassen, sondern die Wirkungskraft einer echten Klavierbegleitung (Fabio Buccafusco) erkennbar machen. Auch gelingt es der Erzählung, Zwiespalte zu beleuchten, die sich nur an der Stelle des Einzelmenschen zeigen können: Etwa wie unbeschwert das Leben angesichts einer ständigen Lebensgefahr sein kann; oder auch wie Identitätsverlust und -schaffung strukturell von außen formiert werden: „Jetzt bin ich auch keine Deutsche mehr. Was bin ich denn? Eine Jüdin.“ Aber das unterirdische Dasein wirkt an Miriam fort, denn auch nach dem Krieg bleibt sie eine außenseitige Innenseiterin, sogar in ihrer eigenen Beziehung. Vielleicht ganz unbeabsichtigt - und leider weitgehend überhört - nimmt Miriams Gesang am Ende unheimliche Eigenschwingungen an: „Ein bisschen Nebenbei macht alles wieder gut, ein bisschen Nebenbei, und frisch pulsiert das Blut...“

Weitere Vorstellungen bis 12. Jänner 2019 - www.schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: Jan Friese