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Dramatisierung ohne Dramatik

LANDESTHEATER / DIE BUDDENBROOKS

28/11/22 Wie eine Geschichte ihre Geschichte verliert oder: Thomas Manns Buddenbrooks in der Verbühnisierung durch John von Düffel. Ohne historischen Kontext bleibt vom Jahrhundert-Roman im Landestheater in der Regie von Alexandra Liedtke bloß eine simple Zusammenfassung der zentralen Familienturbulenzen.

Von Erhard Petzel

Nach Theodor Fontanes Effi Briest nun also ein weiteres Romanwerk der bürgerlichen Standardliteratur innerhalb kurzer Zeit als Landestheater-Produktion. Auch die Buddenbrooks sind im Norden Deutschlands angesiedelt, diese Familie hat allerdings kaufmännisch-hanseatischem Handelshintergrund. Hie wie da bürgerliches Renommieren bis zur komisch-tragischen Farce im Widerstreit zum konkreten menschlichen Bedürfniswesen. Hie wie da die Frage, inwieweit bürgerliche Problemstellungen des 19. Jahrhunderts Erkenntnisgewinn für unser Heute gerieren. Gerade diese Fragen drängen sich auf. Denn die historische Dimension von Thomas Manns Roman kann sich auf der Bühne naturgemäß nicht entwickeln, umfasst sie in den Protagonisten doch die Napoleonischen Wirren bis zu den Folgen des Preußisch-österreichischen Krieges. Der Roman beginnt 1835 mit der Einweihungsfeier des neuen Familiensitzes, da sind die Mitglieder dreier Generationen samt Nebenfiguren zugegen. Die später wichtigen Figuren sind grad Kinder, Thomas, neun, Antonie/Tony acht und Christian sieben Jahre alt.

Ohne die historische Dimension, auf eine individualisierte Ebene der Figuren herunter gebrochen entsteht dann bloß eine Art simpler Zusammenfassung der zentralen Familienturbulenzen unter Aussparung von Seitenlinien. Dieser etwas spröde Zustand wird im Rezitieren von Prosatext durch die Bühnenfiguren verstärkt, ohne dass dabei ein künstlerisch verifizierbarer Verfremdungseffekt einträte. Akzeptiert man diese Umstände, entsteht ein durchaus unterhaltsamer Reigen mit in sich geschlossener Ästhetik. So bezaubert bei der Premiere am Freitag (25.11.) die Bühnen-Architektur Philip Rubners nicht nur optisch. Sie bietet auch Gelegenheit für soziale Spielchen von gesellschaftlichem Ausschluss und Einlass, von Dazugehören und abseits Stehen. Durch Musik (Karsten Riedel) und Ansätze von Choreografie entsteht Reigen-Charakter.

Der Schauspieler Aaron Röll verkörpert Projektionen der Sehnsucht gleich dreier zentraler Figuren: Antonie, Tony genannt, liebt und begehrt den Medizinstudenten Morten, der ist natürlich unmöglich als Schwiegersohn, weil arm und unstandesgemäß. Tom liebt und verlässt seine Anna (die Wendung ins Homosexuellen-Milieu des angehenden Unternehmers vor seiner gesetzten Lebensphase ist mehrfach stimmig). Und der letzte männliche Buddenbrook, Erbe und Träger vergeblicher Zukunftshoffnugen, der schwächliche Kai, hängt an dem Knaben Hanno.

Die stärksten Szenen sind naturgemäß die dramatischen Auseinandersetzungen, die weitgehend aus dem Romantext entnommen werden können. Dabei nimmt die Entwicklung der Person von Thomas Buddenbrook durch Gregor Schulz richtig Fahrt auf. Seine Geschwister Tony (sehr agil Lisa Fertner) und der krankhaft hypochondrische Christian (schön wehleidig Maximilian Paier) sind dann unterschiedlich aktive Widerparts in der Auseinandersetzung um das Wohl der Familienfirma und die dafür einzusetzenden Tugenden. Bendix Grünlich (Martin Trippensee), das ist der Betrüger den Tony heiraten musste, und Bankier Kesselmayer (Matthias Hermann) haben ihre große Szene in der Bankrotterklärung durch Thomas, die vom Publikum hörbar genossen wird. Allerdings inszeniert Alexandra Liedtke etwas gröblich, wenn sie Grünlich mit herabgelassener Hose stehen lässt. Solche Holzhämmer sind dem Roman fremd, wenn die Zeichnung des verrückten Bankiers auch dem Gruselkabinett eines E.T.A. Hoffmann entstammen könnte.

Wie denn die Bühne leider die bestechendste Qualität des Romans nicht erfüllen kann, nämlich die unsagbare Weite der Sprache durch deren Einsatz als Mittel, das Andeutbare in die Vorstellung zu rufen. Die Virtuosität des Nebeneinanders von Platt, Dialekten, Soziolekten und Französisch erzeugt eine Meta-Ebene von möglichen Wirklichkeiten, die selbst im wissenschaftlich unbeleckten Leser eine Ahnung erweckt, wie das fiktive Personal in einer verorteten Umwelt ticken könnte. Eine etwas klischeehafte Ahnung davon gibt Axel Meinhardt als Bierbayrischer Alois Permaneder (der zweite Ehemann Tonys, ein gutmütiger Mann, die Ehe scheitert einfach an Nicht-Kompatibilität zwischen Nord- und Süddeutschland).

Als immerhin tauglich für die Bühne erweisen sich die Bonmots und ernsten bis ulkigen Lebensweisheiten, die teilweise durch die Generationen geistern und für sich schon einen Schatz ergeben, der tip-top ist. Eine, die auf der Bühne nicht vorkommt, im Roman vom alten Konsul Buddenbrook (Christoph Wieschke) nach Verabschiedung seiner Tochter zur Konsulin: „Sie ist zufrieden mit sich selbst; das ist das solideste Glück, das wir auf Erden erlangen können.“ Mit dem Abend höchst zufrieden das Publikum mit lauter Akklamation für Schauspiel und Team.

Buddenbrooks – Aufführungen im Landestheater bis 5. Februar 2023 – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: LT / Anna-Maria Löffelberger

 

 

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